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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Sie uns bitte einen Arzt! Ich kann es nicht, weil er mich nicht
lässt!«
    »Gut!« flüsterte Cevdet. Dann
schlich er sich schnell aus dem Zimmer, um seinem hustenden Bruder nicht noch
einmal in die Augen sehen zu müssen. Kaum war die Tür hinter ihm zu, hörte er
seinen Bruder rufen: »Wo will er denn hin? Etwa einen Arzt holen? Was soll ein
Arzt da ausrichten? Ich brauche keinen Arzt!«

4
  DIE APOTHEKE
    Draußen auf der Straße dachte Cevdet: »Er
stirbt! Wenn nicht heute, dann morgen oder spätestens in ein paar Tagen!« Er
erschrak über seine Gedanken und versuchte sich zu beruhigen. »Vielleicht ist
es ja auch gar nicht so schlimm. Wie oft haben wir solche Krisen bei unserer
Mutter durchgemacht!« Der Kutscher stand rauchend da und musterte ihn mit
typischem Kutscherblick. »Aber mein Bruder weiß, dass er bald stirbt. Deshalb
sagt er ja so furchtbare Sachen!« Er wollte an die beschämende Szene nicht
mehr zurückdenken. »Wo finde ich jetzt nur einen Arzt?« Er bog von
der Gasse in die Hauptstraße ein. »Wo ist die nächste Apotheke? Das vorne ist
die Kanzukapotheke. Und da ist die von Klonaridis!«
    Trotz der Hitze war die renommierte
Straße, die vom Tunnel bis zum Taksimplatz führte, wie üblich voller Menschen.
Cevdet hastete dahin, als würde, falls er zu spät käme, sein Bruder sterben und
er selbst dafür verantwortlich gemacht. Am liebsten wäre er regelrecht
gelaufen, aber das kam ihm doch übertrieben vor, und auch so rempelte er schon
genügend Leute an. Die ruhig ihrem Tagesgeschäft nachgehenden Menschen wichen
dem Mann, der sich bei dieser Hitze rempelnd zwischen sie drängte, so gut es
ging aus und taxierten ihn mit schläfriger Neugier.
    In der Apotheke traf Cevdet den
Apotheker Matkoviç und seinen
dicken Lehrling an.
    »Ist der Doktor da?«
    »Der ist beschäftigt«, erwiderte der
Apotheker und deutete nach hinten.
    »Ich kann aber nicht warten!« brummte
Cevdet und riss die Tür zum Untersuchungszimmer auf, ohne sich um die Patienten
zu kümmern, die wartend davorsaßen.
    Drinnen beim Arzt war eine Frau mit
ihrem Kind. Der Arzt hatte dem Jungen einen Löffel in den Mund gesteckt. Beim
Anblick der aufgerissenen Tür runzelte der Arzt die Stirn und zog den Löffel
wieder heraus.
    »Warten Sie bitte draußen!«
    »Es ist dringend, Herr Doktor!«
    Der Arzt steckte dem Jungen erneut
den Löffel in den Mund. »Sie sollen bitte warten, habe ich gesagt!« Dann sagte er
zu der Frau etwas auf französisch.
    »Es steht aber schlimm!« brachte
Cevdet noch heraus, doch als er mit ansah, wie der Arzt sich um den kranken
Jungen kümmerte, glaubte er plötzlich selbst nicht mehr, dass sein Bruder
sterben würde. Nur um nicht warten zu müssen, sagte er noch: »Ganz schlimm!«
    »Ich komme ja gleich. Aber warten
Sie jetzt!«
    Cevdet ging hinaus. Erst wollte er
sich zu den anderen Wartenden setzen, aber dann ließ er es und ging in der
Apotheke umher. Schließlich zog er sich in eine Ecke zurück und rauchte nervös.
Der Apotheker mischte nach einem Rezept Pülverchen zusammen, und sein Lehrling
wog etwas ab. Dann füllte der Apotheker das Gemisch in eine Flasche und reichte
sie einem Herrn mit Hut. Ein Mann mit stattlichem Bauch betrat die Apotheke und
fragte jovial nach Champagner. Der Apotheker wies den Mann, anscheinend einen
Stammkunden, lächelnd auf eine Ecke, in der Champagnerflaschen zu einer
Pyramide angeordnet waren. Daneben stand eine weitere Pyramide mit
Mineralwasserflaschen. Bevor der dicke Mann seine Wahl traf, las er die
Etiketten mit der Seelenruhe von jemandem, der über Zeit und Geld verfügt:
Evian, Vittel, Vichy, Apollinaris. Es kam Cevdet in den Sinn, dass die aus dem
weit entfernten Frankreich importierten Mineralwasser, der Champagner und die
Tobler-Schokolade, die auf einem Tischchen lag, auch von Eskinazi konsumiert
wurden, der am Morgen wegen des Nebels Verspätung gehabt hatte. »Und die
Paşas in ihren Konaks tun sich auch daran gütlich! Und was mache ich? Ich
arbeite, und ich werde heiraten. Mein Bruder ist krank, aber sterben wird er
nicht, blendend geht es ihm. Die Armenierin. Für Liebe habe ich vor lauter
Arbeit keine Zeit. Dieses lästige Warten! Was steht da auf dem Schaufenster?
Ich kann es auch spiegelverkehrt lesen: Ausländische Präparate … Osmanische
Präparate.« Der fröhliche dicke Mann wählte seine Flaschen aus und ließ sie
zurücklegen; sein Diener werde sie dann abholen. »Jetzt geht er nach Hause, und
dann trinkt er diese Sachen. Alle zusammen

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