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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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zurück. Er
arbeitete damals mit dem Vater zusammen, schnitt Holz und schichtete es auf,
und abends war er so müde, dass er nach dem Essen sogleich einschlief. »Ich
wollte aber kein tumber Mensch sein, der allein mit seiner Körperkraft
arbeitet. Studieren wollte ich und reich werden!« Es freute ihn, dass er an
jene Zeit nicht voller Wehmut zurückdachte. »Trotzdem: Damals mochten sich die
Leute noch. Mich mochten sie auch. Und ich bin vor ihnen davongelaufen!« Und
genau zu diesen Menschen musste er nun zurück. Ihm graute davor. »Vielleicht
erkennen sie mich ja nicht mehr. Und wenn doch, dann werden sie mich verachten.
Obwohl, vielleicht auch nicht. Mit meiner Kleidung und dem Coupé kann ich
Eindruck schinden. Ach, wird das alles peinlich sein!« Er malte sich aus, was
ihm widerfahren konnte. »Sie denken bestimmt, ich sei ein undankbarer Kerl, der
sich etwas Besseres dünkt. Warum ist nur alles so geworden?« Die Kutsche fuhr
am Finanzministerium vorbei. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatten die
Geldwechsler und Wucherer ihre Büros. Wer mit seinem Gehalt nicht auskam, ließ es
sich dort vorzeitig auszahlen, zu horrenden Zinsen. Den Gewinn, den die
Wucherer einstrichen, hielt Cevdet für unanständig und geradezu widerwärtig.
»Alles wegen des Geldes!« dachte er. »Ich bin vereinsamt dadurch! Nur wegen des
Geldes! Keiner hat sich etwas getraut, nur ich, und ich habe Geld verdient! Nun
verachten sie mich, weil sie finden, ein Muslim solle keinen Handel treiben!«
Schwitzend dachte er wieder an die beschämenden Szenen, die ihn erwarteten.
    Nach Aksaray bog die Kutsche links ab.
Sie kamen jetzt in ein Gewirr von Gassen, aber nach Haseki war es noch ein
gutes Stück. Beim Anblick der Gassen dachte Cevdet: »Es ist doch immer noch das
gleiche. Nichts hat sich verändert. Die Mauern, die verwitterten Fensterrahmen,
die vermoosten Dachziegel. Alles beim alten. Die wohnen hier noch genauso wie
vor zweihundert Jahren. Ans Geldverdienen denkt hier keiner. Nie wird irgend
etwas Neues unternommen. Woran fehlt es denen nur? Ja genau, an Ehrgeiz! Schau
einer sich diesen Dreck an. Niemand kommt auf die Idee, diesen Kehricht einmal
wegzuräumen. Da hocken sie sich lieber ins Kaffeehaus und glotzen die Passanten
an!« Vor einem Kaffeehaus sah er unter einer Platane Männer im langen
orientalischen Gewändern sitzen, die wiederum neugierig schauten, wer da in so
einem noblen Gefährt saß. So blickten sie einander an, während das Coupé
langsam vorbeischaukelte. Danach knurrte Cevdet: »Was schaut ihr denn so? Was
gibt es hier zu sehen? Ein Mann fährt in einer Kutsche vorbei, und schon wird
geglotzt! Ach, es ist alles so tot hier! Mein Bruder hat schon recht. Und ich
habe auch recht, weil ich kein Faulpelz im Nachthemd bin, sondern ein
rechtschaffener Kaufmann!« Das Coupé fuhr nun in das Viertel hinein. Cevdet
öffnete das nach vorne gehende Fensterchen und bedeutete dem Kutscher, zwei
Straßen später nach links abzubiegen. Da belauschte er zwei in einem Garten
spielende Kinder.
    »… dann verlierst du nämlich!«
    »Ich habe ihm alle Nüsse abgeknöpft,
dem Dummkopf!«
    Cevdet dachte: »Wir spielten früher mit
den Nüssen nur zum Spaß, aber die scheinen das als Glücksspiel zu betreiben und
die Nüsse des Verlierers einzuheimsen. Gut so! Wenigstens da hat sich was
getan! Da entwickelt sich also ein Profitdenken bei der neuen Generation.«
Sogleich schämte er sich aber seiner Gedanken. Als die Kutsche in die bewusste
Gasse einbog, sah er beklommen Haus um Haus an. Jedes einzelne erkannte er
wieder. Und erneut dachte er, dass sich doch gar nichts verändert hatte. Vor
dem Haus von Zeynep rief er dem Kutscher zu, er solle halten.
    Cevdet stieg aus und sah sich um. In
das Haus nebenan waren sie bei ihrer Ankunft in Istanbul eingezogen. Zehn Jahre
hatte er darin gewohnt, aber nun wollte er es nicht einmal mehr anschauen. Er
öffnete das Gartentor zu Zeyneps Haus. Dabei ertönte eine am Tor befestigte
alte Glocke. »So eine möchte ich auch mal in meinem Haus in
Nişantaşı!« Der Garten war wie einst. Der Pflaumenbaum kümmerte
dahin wie eh und je. Cevdet klopfte an der Tür und wartete.
    Zeynep machte auf. Bevor Cevdet sich
noch vorstellen konnte, rief sie schon: »Cevdet! Junge! Wo kommst du denn her?«
und umarmte ihn.
    Vor Verlegenheit schwitzend küsste
Cevdet ehrerbietig ihre Hand. Dabei kamen ihm längst verschollene Gerüche in
den Sinn, auch Gegenstände, ein Insekt, eine bestickte

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