Cevdet und seine Soehne
wieder etwas ein, und mit gedankenvoller Miene trat
er ins Zimmer.
»Wie geht es ihm?« fragte er, und da
sah er seinen Bruder auch schon halb aufrecht im Bett liegen. »Gar nichts hat
er!« dachte Cevdet.
»Ach, du bist es? Wo kommst du denn
her?« rief Nusret aus.
Cevdet versuchte aus der Stimme
seines Bruders etwas über seinen Gesundheitszustand herauszuhören. Lächelnd
ging er zu Nusret und hielt ihm die Wange zum Kuss hin.
»Tuberkulosekranke küsst man nicht!«
sagte Nusret, aber er ließ es geschehen. Gnädig sozusagen.
»Wie geht es dir?« fragte Cevdet und
setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
»Wie bist du auf den Gedanken
gekommen, mich zu besuchen?« Misstrauisch sah Nusret seine Freundin an. »Hast
du ihn etwa gerufen?«
»Wieso sollte ich das? Er ist von
allein gekommen!« Sie hatte eine sanfte, melodische Stimme.
»Man muss mich doch zu einem Besuch
bei dir nicht extra rufen!« sagte Cevdet. Schuldbewusst errötete er, wie so oft
in Gegenwart seines Bruders. »Wie geht es dir? Was macht deine Krankheit?«
Nusret wandte sich verärgert zu
seiner Freundin. »Du hast ihn herbestellt! Jetzt fragt er schon das zweitemal,
wie es mir geht! Warum denn?«
»Nusret!« wimmerte Mari. Um ihn zu
beruhigen, stand sie auf und ging zu ihm hin. Sie deckte ihn ordentlich zu und
sagte dann zu Cevdet: »Es geht Ihrem Bruder nicht gut. Gestern abend stand es
ganz schlecht um ihn, er ist sogar in Ohnmacht gefallen. Jetzt macht er einen
guten Eindruck, aber lassen Sie sich davon nicht täuschen!«
»Von wegen, überhaupt nichts fehlt
mir!« rief Nusret. Er wollte noch weitersprechen, bekam aber keine Luft mehr
und konnte nur noch mit vorwurfsvollen Blicken um sich werfen.
Cevdet fragte Mari: »Haben Sie
keinen Arzt gerufen?«
»Es braucht keinen Arzt!« brachte
Nusret mühsam heraus. »Gibt es einen besseren Arzt als mich? Ärzte sind
Menschenfeinde!«
Mari sah Cevdet an, als wollte sie
sagen: Was soll ich nur tun?
Cevdet dachte: »Dann muss eben ich
einen Arzt rufen!« Unter Maris Blicken wurde er ganz verlegen. Die Frau war
vielleicht nicht direkt eine Schönheit, aber doch hübsch. Er fragte sich, wie sein
kranker und mittelloser Bruder, der dazu noch Alkoholiker war, an solch eine
Frau herangekommen war. Er sah sich ein wenig in dem Zimmer um: Auf einem Tisch
standen Waschschüsseln, Teller und Gläser, die sichtlich oft benutzt wurden und
blitzblank waren. In einer Ecke lag ein Stapel frisch gebügelter Laken und
Hemden. Wände, Fenster, Möbel, alles in dem Zimmer wirkte peinlich sauber. Man
kam sich weniger in einem Krankenzimmer vor als vielmehr bei wohlhabenden
Leuten, die in Erwartung von Gästen ihre Wohnung geputzt hatten. In Cevdet
erwachte wieder das Sehnen nach einem Leben mit Frau und Kindern in einem
gepflegten Heim, und als er die Armenierin ansah, wurde er sogleich wieder rot.
Nusret atmete indessen schwer. Es war Cevdet, als füllten der Bruder und seine
Freundin das Zimmer vollständig aus, so dass er selbst ganz überflüssig war.
Beim Anblick der Armenierin ging ihm durch den Kopf, dass er nie im Leben die
Liebe so einer Frau, ja überhaupt irgendeiner Frau würde gewinnen können.
»Hast du Ziya mal wiedergesehen?«
fragte ihn sein Bruder. Ziya war Nusrets neunjähriger Sohn, den er bei
Verwandten in Haseki untergebracht hatte.
»Nein«, erwiderte Cevdet verwundert.
Sein Bruder wusste doch, dass er nie nach Haseki fuhr. Die Verbindung der
beiden Brüder zu Haseki wurde einzig und allein durch Zeliha aufrechterhalten.
In letzter Zeit hatte Cevdet von der Frau nichts Neues über Ziya gehört.
»Ich überlege, ob ich den Jungen
nicht zu seiner Mutter aufs Dorf schicken soll«, sagte Nusret. »Aber nein,
lieber nicht! Soll er besser hierbleiben. Hier lebt er zwar unter Dummköpfen,
aber doch wenigstens in der Stadt, nicht wahr?« Er rang eine Weile nach Atem
und sagte dann: »Wir haben alle beide den Kontakt zu unseren Verwandten in
Haseki aufgegeben. Aber nicht aus dem gleichen Grund. Ich, weil ich ihnen nicht
zur Last fallen wollte, und du, damit sie dir nicht zur Last fallen!« Wieder
brauchte er Zeit, um zu Atem zu kommen. Dann blitzte in seinem Gesicht
wieder jener vorwurfsvolle Ausdruck auf, den Cevdet nur allzugut kannte.
»Neulich sollst du mit einem Coupé
gekommen sein! Ist das deins?«
»Es ist nur gemietet.«
»Gibt es jetzt solche Droschken?«
»Nein, ich habe das Coupé für drei
Monate gemietet«, sagte Cevdet verlegen.
»Eine von diesen Angeberkutschen!
Weitere Kostenlose Bücher