Cevdet und seine Soehne
Hemd, doch schon am Sonntag nachmittag, bevor sie in die Akademie
zurückkehrten, mussten sie ihre Ausgehkleidung mit der Militärkluft
vertauschen.
Muhittin erwiderte nichts. Er wollte
die beiden für ihre Trägheit beim Sprachenlernen und für ihre Willensschwäche
mit Schweigen strafen.
»Und nie können wir jemand etwas
fragen. Sobald wir es tun, werden wir nur zusammengestaucht!«
Wieder gab Muhittin keine Antwort,
und seine Blicke besagten nur: »Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Es
gibt also keine Entschuldigung.«
»Muhittin, hast du das Gedicht von
Cahit Sıtkı in Varlık gelesen?« fragte
Barbaros.
»Nein!«
»Hätte mich nur interessiert, was du
davon hältst.« Und nach einem Zögern fügte er hinzu: »Über dein Buch steht noch
nichts drin.«
Sein Gedichtband war vor einem Monat
erschienen, doch war in der Presse noch immer keine Reaktion darauf zu lesen.
»Die sollen endlich irgend etwas schreiben, egal, was!« dachte Muhittin
verdrossen. Dann sagte er: »Es ist noch zu früh. So ein Buch wie meines will
erst einmal verdaut sein!« Dazu stellte er eine stolze Miene zur Schau, aber
eigentlich ärgerte er sich über sich selbst. »Was plustere ich mich da auf vor
den beiden!« Er hätte sich wohl noch weiter in diese Wut hineingesteigert, doch
fiel ihm etwas ein.
»Gleich stößt noch jemand zu uns!«
Und zwar Refık. Er hatte
Muhittin in dem Ingenieurbüro angerufen, in dem dieser arbeitete, und gesagt,
er müsse ihn unbedingt sprechen. Dabei hatte seine Stimme so unsicher und
zittrig geklungen, wie Muhittin das überhaupt nicht von ihm gewöhnt war.
»Ein Literat?«
»Nein, nein! Ein Ingenieur!
Literaten kommen kaum einmal in eine Kneipe in Beşiktaş. Wenn ihr die
sehen wollt, müsst ihr schon nach Beyoğlu hinauf! Nein, wir kennen uns von
der Ingenieurhochschule her. Und nach Beşiktaş kommt dieser Freund
auch so nicht oft, er wohnt nämlich in Nişantaşı!« Er lachte,
doch als die Kadettenschüler in sein Lachen einfielen, war ihm das auch nicht
recht. Zum einen wussten sie ja nicht einmal, worüber sie da lachten, und zum
anderen machten sie sich damit über Refık lustig, und einen Freund von
Muhittin, wer immer er auch sein mochte, sollten sie nicht so einfach belächeln;
wenn schon, dann stand das Muhittin selbst zu, aber nicht diesen beiden.
»Was gibt es da eigentlich zu
lachen?« knurrte er. Dann bereute er aber seinen rauhen Ton. »Na ja, jemand aus
Nişantaşı kommt eben nicht oft nach Beşiktaş. Ihr
begreift schon, dass er etwas Besseres ist. Beşiktaş war ja noch nie
besonders en vogue. Früher waren unsere Herren im Yıldızschloss,
heute sitzen sie in Nişantaşı!« Er lachte. Hatte er da nicht
gerade einen Spruch geprägt? Er überlegte, wie sich das noch besser formulieren
ließ. »Vielleicht so: Was ist schon die Republik? Der Umzug der Herren von
Yıldız nach Nişantaşı! Nein, das hört sich nicht gut
an. Was gäbe es da noch?« Er hielt inne.
»Ihr lacht, aber versteht ihr
eigentlich, was ich da gesagt habe?«
»Na ja, was früher der Sultan war, das
sind heute die Geschäftsleute? Nur in Beşiktaş bleibt alles gleich«,
sagte Barbaros.
»Oje, ist das platt formuliert! Wie
aus einem Schulbuch!« Muhittin sah, wie Barbaros beschämt den Kopf senkte, aber
das war ihm gleichgültig. Er trank an seinem Wein und feilte weiter an seinem
Spruch. »Wenn die Schlossherren aus Yıldız nach … Ach, da ist er ja!«
Refık stand schon in der Kneipe
und sah sich nach Muhittin um. Der rief ihm nicht gleich zu, sondern musterte
ihn erst kurz. Refık machte einen gequälten Eindruck. Wahrscheinlich
ärgerte er sich schon, in so eine Spelunke überhaupt gekommen zu sein.
»Gut, dass ich gesagt habe, wir
sollen uns hier treffen!« dachte Muhittin. »Jetzt soll er mal auf meinem
Misthaufen krähen! Von seinen Salons habe ich genug!« Er winkte Refık zu,
doch als er dessen Gesicht aus der Nähe sah, stutzte er. »Der hat irgendwas!«
Nun tat ihm Refık plötzlich leid. »Wir hätten uns doch woanders treffen
sollen … Was ist nur los mit ihm?«
Er wies Refık einen Platz zu,
stellte ihm die beiden jungen Soldaten vor und fragte ihn, was er trinken
wolle. Dabei studierte er Refıks Gesicht. »Irgend etwas muss passiert
sein.«
Zuerst redeten sie über Belangloses.
Als der Wein kam, fragte Refık:
»Du wolltest mir doch dein Buch mitbringen?« Das hatten sie am Telefon
vereinbart.
Muhittin zog es aus der Tasche:
»Zeitlos. Regen«. Er schlug den Band auf.
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