Cevdet und seine Soehne
herum!«
Als der Kaffee gereicht wurde, rief
Sait Nedim: »Wo ich diesen Hund so sehe, fällt mir etwas ein. Das sage ich aber
nur, weil sonst keiner das Wort ergreift. Bin
vielleicht doch wieder ich für die Unterhaltung zuständig?«
»Aber ich bitte Sie, sprechen Sie
nur!« sagte Osman, anscheinend nicht wenig stolz auf seine vornehme,
verständnisvolle Art.
»Sehen Sie nur, wie dieser Hund hier
in aller Ruhe mit uns lebt. Zur Zeit meines Vaters hätte man so ein Tier kaum
in den Garten gelassen. In einem muslimischen Haus ein Hund!« Er rief das Tier
zu sich: »Na komm schon her, Graf!«
Der Hund erhob sich brav, streckte
sich und kam dann schwanzwedelnd auf sein Herrchen zu. Sait Nedim freute sich,
dass er mit einem Scherzchen veranschaulichen konnte, worum es ihm ging. »Du
gehörst gar nicht in ein muslimisches Haus!« sagte er zu dem Hund. Dann wandte
er sich lachend zu seinen Gästen: »Aber wie Sie sehen, ist er nun hier. Wir
haben uns an ihn gewöhnt und er sich an uns. Wir sind eben mit der Zeit
gegangen. Hätte meine Mutter damals einen Hund hier gesehen, hätte sie das Haus
auf den Kopf gestellt und alles rituell waschen lassen!« Er sah zu seinem Hund.
»Schon gut, Graf, setz dich wieder auf deinen Platz!«
Der Hund wusste nicht, warum er
gerufen worden war. Er sah sich prüfend um, schnupperte an einigen der Gäste,
drückte die feuchte Schnauze an Refıks Hand, und da alles seinen gewohnten
Gang zu nehmen schien, legte er sich beruhigt wieder hin.
»Damit meine ich«, fuhr Sait Nedim
fort, »dass wir uns neuen Zeiten anpassen, ohne es überhaupt so recht zu
merken. Warum soll dann nicht das Althergebrachte auch angepasst werden können?
Sehen Sie sich nur diesen Raum hier an. Das ist doch eindeutig ein Salon jetzt.
Dabei war es früher der Vorraum zu den Herrengemächern, zu denen Frauen gar
keinen Zutritt hatten. Und sehen Sie mich an! Bin ich nicht ein einfacher,
etwas geschwätziger Kaufmann? Nein nein, lassen Sie mich weitererzählen!
Gestern noch wurde ich als Paşasohn angesehen. Verstehen Sie, was ich
meine? Mein Vater selig pflegte zu sagen, große Veränderungen fallen bei uns
nicht sehr ins Auge, weil sie immer das Ergebnis endloser kleiner Kompromisse
sind. Jawohl, Kompromisse. Und zwar so kleine und geschickt eingefädelte, dass
der ganze stille Lauf der Geschichte dadurch geprägt wird! Ja, das sagte mein
Vater immer. Als ob er schon geahnt hätte, dass ich einmal Geschäftsmann werden
und alle unsere Grundstücke verkaufen und in den Handel stecken und dass Güler
einen einfachen republikanischen Soldaten heiraten würde … Ach, Europa! Ich
muss immer an Europa denken, und jedesmal wenn ich dort hinfahre, dann frage
ich mich, warum die so anders sind als wir. Ja, warum? Warum sind wir so, wie
wir sind? Moment mal, möchte vielleicht jemand Likör? Passt gut zum Kaffee!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang er auf, ging zum Buffet und holte ein paar
Flaschen heraus. Dann sagte er zu seiner Frau: »Und hol das Fotoalbum her! Das
Europa-Album!« Er genierte sich zwar ein bisschen, wollte aber seinen Eifer nicht
zügeln. Ihm war danach, noch mehr von sich zu erzählen, und in Refıks und
Osmans Augen suchte er nach Ermunterung dazu.
Es folgte ein kurzes, peinliches
Schweigen. Schließlich erklärten Nermin und Güler, sie würden gern etwas Likör
trinken.
Osman sagte nachdenklich: »Sie haben
recht, völlig recht!« Er schien durch sein verständnisvolles Auftreten das
Genierliche an der Situation herunterspielen zu wollen.
Sait Nedims Frau Atiye kam mit einem
Album in der Hand zurück. »Die Kinderfotos habe ich auch mitgebracht!« Das
»Europa-Album« reichte sie Refık.
Refık fing an, darin zu
blättern. Sait Nedim sagte: »Europareisen sind mir genauso lieb wie Reisen in
die Vergangenheit! Wir fotografieren viel und kleben die Aufnahmen da hinein.
Wo sind Sie denn gerade?« Er stand auf und stellte sich hinter Refık. Auch
wenn es lediglich um Fotos und Ansichtskarten ging, wollte er doch mit seinem
jungen Gast das Vergnügen teilen, etwas von Europa zu sehen. Über Refıks
Schulter hinweg sah er in das Album. »Da, sehen Sie, das war in Paris, vor vier
Jahren, 1933, na, wie finden Sie das? Damals waren wir noch jung,
was? Das ist im gleichen Jahr … In Berlin. Paris und Berlin! Das sind die
zwei Städte, in die jeder Türke, der von der Welt etwas sehen will, unbedingt
hinmuss! Wien gehört vielleicht noch dazu, aber von Musik verstehe ich ja
nichts. Sehen Sie, das war
Weitere Kostenlose Bücher