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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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wir nun in Zucker oder in Eisen machen, in
Autos, Tabak oder Feigen. Aber ich halt jetzt besser mal meinen Mund. Ja, das
mache ich. Gebt mir doch dieses Album wieder, damit das Thema erledigt ist.
Seht ihr es immer noch an? Das ist unser Rastignac, was? Unser Eroberer. Wie
geht es ihm denn? Was macht er jetzt? Ihr könnt mir glauben, dass er anders ist
als ich oder ihr. Aber letztendlich wird er damit unglücklich werden. Weil er
irgendwann Kompromisse eingehen muss. Mein Vater hatte schon
recht: Man muss kompromissbereit sein. Unser Eroberer machte ja einen ziemlich
stolzen Eindruck. Aber lassen wir das jetzt. Was treibt dieser Ömer denn nun?
Bestimmt ist er unglücklich. Ach, man muss Kompromisse machen, muss sein Herz
zum Schweigen bringen, muss Kaufmann sein, zurückhaltend und vorsichtig,
beherrscht und schlau. Das nehmt ihr mir doch nicht übel, oder? Wir sind alles
Kaufleute. Ist das von Bedeutung? Wir kaufen und verkaufen, kaufen und
verkaufen … Und wohnen doch noch immer in unseren Konaks. Das ist wichtig!
Da, seht her, ich setze mich jetzt hin und halte den Mund. Der Hund liegt auch
wieder da. So, ich schweige jetzt. Ich warte auf meine Scham, meine
Jahrhunderte andauernde Scham, und ich schweige!« Er lehnte sich in seinem
Sessel zurück wie ein Kranker und schwieg tatsächlich.
    Stille. Refık dachte schon eine
ganze Weile nur noch daran, wie peinlich ihrem Gastgeber das alles sein würde,
sobald sein Eifer einmal abgeklungen war. Es herrschte eine Atmosphäre, als sei
vor kurzem jemand gestorben oder als habe jemand ein vor Jahren begangenes
Verbrechen gestanden. Refık dachte: »Wenn doch nur irgendeiner etwas sagen
würde!« Er sah zu Güler. »Was sie wohl denkt? Ein einfacher, republikanischer
Soldat … Ob sie wohl von dem Mann, von dem sie sich ja getrennt hat, genauso
spricht? Warum sagt denn keiner was?!«
    »Ach Cevdet, in was hast du uns da
nur verwickelt?« fing Sait Nedim plötzlich wieder an. Er hielt den Kopf nun
aufrecht und lächelte wie ein tapferer Kommandant, mit dem es langsam zu Ende
geht.
    Durch dieses Lächeln entspannte sich
die Atmosphäre ein wenig. Refık überlegte schon, ob er von Ömer berichten
sollte. Er sah zu Perihan, die von dem ganzen Auftritt keineswegs beeindruckt
schien. Die Gelassenheit, die sie an den Tag legte, erleichterte Refık.
    Da rief Atiye auf einmal: »Ach Sait,
wie schön du wieder mal geredet hast! Erzähl doch noch die eine Geschichte, du
weißt schon, die auch dein Vater selig immer zum besten gegeben hat, da wo Kâmil Paşa von Sultan
Abdülhamit gerügt wird und plötzlich der Obereunuch hereinkommt … Na los,
erzähl schon!«
    »Ich habe gesagt, dass ich schweigen
werde«, erwiderte Sait Nedim, »und das tue ich jetzt auch!« Dann gähnte er und
versank in seinem entrückten Bewusstsein.

21
  EINE KNEIPE IN BESIKTAS
    »Ist denn Yahya Kemal als Dichter Tevfık
Fikret überlegen?«
    »Ach was, da ist doch einer wie der
andere!« rief Muhittin. »Allesamt unbedeutend … Und im Vergleich zu
Baudelaire überhaupt nicht der Rede wert!«
    Das Gespräch stockte, aber Muhittin
kümmerte das nicht weiter; diese kleinen Pausen war er schon gewöhnt, und
selbst wenn sie sich hinzogen, genoss er das klammheimlich. »Jetzt knabbern sie
an diesem Satz herum! Es grämt sie, dass sie nicht selber so etwas hinkriegen,
und dafür bewundern sie mich nur noch mehr!« Muhittin saß mit den beiden
Kadettenschülern in einer Kneipe im Zentrum von Beşiktaş, direkt
gegenüber von Muhittins Friseur. Die Kneipe war voller Angestellter, Fischer,
Ladenverkäufer und Ausfahrer. Muhittin traf sich dort ein-, zweimal pro Woche
mit den beiden, wenn sie sich aus der Kriegsakademie in Yıldız heimlich davonmachten, und er
nahm sie dann unter seine Fittiche.
    »Jammerschade, dass wir nicht
Französisch lernen konnten!« rief der eine aus. »Nicht einmal Baudelaire können
wir lesen!«
    »Ihr müsst es eben lernen!« sagte
Muhittin streng. »Das ist doch nur Faulheit! Ein junger Dichter in der Türkei
muss unbedingt eine Fremdsprache können!«
    Wieder schwiegen die beiden
betroffen. Muhittin spürte, wie seine Worte in den beiden jungen Männern
widerhallten.
    »Ich finde gerade mal ein bisschen
Zeit, bevor wir abends in den Schlafsaal müssen. Aber das reicht hinten und
vorne nicht!« sagte schließlich der eine von ihnen, Turgay. Sein Freund
Barbaros war der zwanglosere der beiden, auch der besser aussehende, doch hatte
er weniger Grips. Er trug ein dünnes,
elegantes

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