Cevdet und seine Soehne
zu dir gekommen
bin. Ich war betrunken und musste mir dann deine Ratschläge anhören, die mich
gekränkt haben. Aber pass auf: Jetzt bin ich dran. Jawohl, du hast kein Recht
aufs Unglücklichsein. Unglück ist die Sache von meinen Jungs da, die sich mit
Poesie abplagen, und von Dichtern und von diesen Fischern und Ausfahrern da.
Wir dagegen genießen doch unser Unglück. Was siehst du mich so an, rede ich
vielleicht Unsinn? Nun gut, mag sein, dass ich Unsinn rede, aber du redest auch
Unsinn, weil ich nämlich überhaupt nichts kapiere!«
»Ich kapiere doch selber nichts!«
Refık scheute vor Muhittins Wut zurück. »Ich muss mich schon wundern, was
du da so sagst.«
»Und ich muss mich über dich
wundern!« Der Zorn brannte Muhittin noch immer im Mund. »Gestern am Telefon
habe ich mich schon über deine Stimme gewundert. Und als du heute hier
hereingekommen bist, über dein Gesicht. Und ich dachte mir, dem ist wirklich
etwas zugestoßen, irgend etwas Schlimmes. Dabei ist überhaupt nichts los!«
»Was hattest du denn erwartet?«
stotterte Refık.
»Rein gar nichts hast du, und ich
dachte, dir sei etwas passiert, was einen Menschen wirklich unglücklich macht.
Was weiß ich, dass zum Beispiel deine Tochter schwerkrank ist oder du dich in
eine andere Frau verliebt hast oder eure Firma bankrott geht oder deine Frau
dich betrügt, na so etwas eben. Aber du hast nicht den geringsten Vorwand zum
Unglücklichsein. Deine Stimme gestern und dein Gesicht heute passen zu einem
unglücklichen Menschen, daran gibt es keinen Zweifel, aber dein Leben ist ja
rundum ein glückliches. Ein problemloses, sorgloses Leben. Und da dem so ist
…« Muhittin lag da etwas auf der Zunge, und erst zögerte er noch ein wenig,
aber dann musste es heraus: »Und da dem so ist, weißt du, was ich dir da sage?
Es geht dir so gut, dass es dir schon weh tut!«
Refıks Gesicht lief rot an.
»Das hast du mir also zu sagen!«
»Was soll ich machen, nun ist es
heraus! Aber das wirst du von anderen auch noch zu hören kriegen. Weil dein
Getue keinem passt. Ein jeder findet nämlich, dass Leute wie du gefälligst
glücklich sein sollen. Und Verständnis brauchst du da gar nicht zu erwarten. Du
hast alles und beklagst dich auch noch: Das versteht keiner, und das
interessiert auch keinen!«
»Dich interessiert es also auch
nicht?«
»Was redest du da?« rief Muhittin
heftig und fürchtete doch, nicht ehrlich zu wirken. »Wo wir schon so lange Freunde
sind!«
»Aber du hast mir nichts Richtiges
geraten! Ich dachte mir, geh zu Muhittin, der ist Dichter und sagt dir bestimmt
irgendwas.«
»Fang etwas Neues an«, erwiderte
Muhittin darauf resigniert.
»Das tue ich ja! Ich lese jetzt viel,
Rousseau zum Beispiel. Die Bekenntnisse haben mich tief beeindruckt.«
Verlegen setzte er dann hinzu: »Und ich führe ein Tagebuch …«
Muhittin musste sich beherrschen, um
nicht loszulachen. »Ein Tagebuch!« dachte er. »Da redet er von Unglück, vom entgleisten
Leben, von Beziehungslosigkeit … Ich glaube, ich weiß jetzt, was mit ihm los
ist. Er hat geheiratet, ein Kind gekriegt, sein Vater ist gestorben.
Wahrscheinlich meint er jetzt, dass er schon alt ist. Und dass sein Leben
verfliegt …«
»Vielleicht hast du einfach das
Gefühl, schon alt zu sein!«
»Mag sein … Am liebsten wäre ich
ein Dichter, so wie du!«
»Davon hält dich doch keiner ab!«
»Da hast du auch wieder recht.«
Muhittin merkte, dass er schon
wieder gerührt war. Er sah Refık liebevoll an, spürte aber, dass ihm das
von nun an nicht mehr so leichtfallen würde. Das Bild, das er von Refık
hatte, war besudelt worden. »Er will ein intensives Leben führen, ohne den
Preis dafür zu zahlen!« dachte er. Es juckte ihn, seinen Freund dafür zu bestrafen.
»Pass mal auf, Refık! Du
langweilst dich ganz einfach! Du kannst dich ja auch noch mit anderem ablenken
als mit Büchern. Spiel Schach, such dir neue Pokerfreunde, geh zum Fußball,
fotografiere, sammle Briefmarken oder was weiß ich was, aber tu irgendwas!«
»Das also rätst du mir?« rief
Refık wütend. »Briefmarken soll ich sammeln? Sonst hast du mir nichts zu
sagen?«
»Doch! Trinken wir noch einen Wein!
Hallo! Noch zweimal das gleiche!«
22
TAGEBUCH I
Montag, 13. September 1937
Gestern habe ich mich in
Beşiktaş mit Muhittin getroffen. Wir haben in einer Kneipe gesessen
und geredet. Er konnte mir überhaupt nichts raten und hatte wieder dieses
Spöttische an sich. Nach dem Gespräch ist mir das Alltagsleben wie
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