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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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letztes Jahr. Paris! Sie blättern aber schnell!
Warten Sie mal, den kennen Sie doch, oder?«
    Natürlich erkannte Refık ihn:
Es war ein Bild von Ömer. Er stand mit einem Koffer in der Hand in einem
Zugabteil und zog ein mürrisches Gesicht.
    »Selbstverständlich, das ist unser
Rastignac!« rief Sait Nedim. »Wir hatten uns auf der Rückfahrt im Zug
kennengelernt. Was macht er denn jetzt?« Er gab aber Refık keine
Gelegenheit zu einer Antwort und fuhr gleich fort: »Die Bilder da sind aus dem
gleichen Jahr … Das ist eine französische Familie, die wir in Berlin
kennengelernt haben … Eine richtige französische Familie, gebildet, lustig
… Wein, Käse, Eiffelturm … Und Männer, die was von Frauen verstehen! Ich
schwätze wohl wirklich zuviel, was? Aber schauen Sie sich doch nur diese
Familie an! Wir waren in Berlin im selben Hotel abgestiegen, und unsere Zimmer
lagen nebeneinander. Beim Frühstück saßen wir immer zusammen. So lustige
Menschen … Blättern Sie mal um. Da sind sie wieder! Sehen Sie, deswegen muss
ich so oft an Cevdet denken. Genau deswegen. Weil er eine so perfekte Familie
gegründet hat. Ihnen wird das vielleicht übertrieben vorkommen, aber ich bewundere
Ihre Familie regelrecht: ein erfolgreicher Vater, fleißige Kinder, hübsche
Frauen und gute Mütter, vor Gesundheit strotzende Enkel … Genau so, wie es
sein muss! Wie ein Uhrwerk, aber ein buntes, lebendiges! Wie Europäer!« Er
lachte dröhnend, aber wohl nicht von Herzen, sondern eher, um seine Worte
abzumildern und für den Fall, dass er Unpassendes gesagt haben sollte, darauf
zu verweisen, wie bewusst ihm das war. Dann entfernte er sich von Refık
und hob ein kleines Glas Likör in die Höhe. »Aber wir machen jetzt auch schon
ganz ordentliche Sachen! Diesen Likör da zum Beispiel! Likörindustrie! Eine
Likörfabrik in Mecidiyeköy … Ein Riesenunternehmen! Ha! Dass ich nicht lache!
Jetzt sagt mir doch mal, warum die so anders sind als wir? Warum nur? Wer kennt
ihr Geheimnis? Sagt doch mal? Warum sind wir so? Und die so anders? Nun sagt
schon!«
    »Du bist aber in Fahrt heute!« sagte
Güler. »Setz dich doch wieder hin!«
    Sait Nedim schwenkte das Likörglas
hin und her und schien die Worte seiner Schwester gar nicht wahrgenommen zu
haben. Um ihn herum herrschte nun beschämte Erregung. Keiner wusste, wie ernst
es dem Mann wirklich war, und alle waren irgendwie angesteckt von seinem Eifer.
Den Gesichtszügen, die sich nach dem schweren Essen gelöst hatten, war nun allenthalben
wieder eine Anspannung anzusehen. Jeder schien auf die Frage, die Sait Nedim so
beharrlich wieder holte, eine Antwort zu suchen, und sah dann betrübt aus, weil
er keine fand. Manch einer mochte dem Spott Sait Nedims ja tatsächlich
beipflichten und sich verdutzt fragen, warum die Europäer denn nun wirklich so
anders waren.
    »Warum sind wir so? Wir sind es nun
mal! Lasst mir nur meinen Willen heute abend! Ich habe getrunken und ich
steigere mich in etwas hinein, gut möglich. Aber so etwas muss auch manchmal
sein! Man muss sich doch einmal gehenlassen dürfen! Ich habe es nämlich satt,
jawohl, ich schwöre es, ich habe es satt, mich immer kontrollieren zu müssen!«
Er zeigte auf das Europa-Album auf Refıks Schoß. »Ich habe es satt, mich
zu beherrschen und nie zu machen, was ich wirklich will, nur um so zu werden
wie sie! Heute abend lasse ich mich einmal gehen und plärre kompromisslos
heraus, was ich will!«
    Dann kippte er sein Glas Likör und
stieß gleich danach wieder ein Lachen aus. Diesmal aber ein geradezu
nervtötendes.
    Zum erstenmal sah Refık auf
Gülers Gesicht wahre Besorgnis. Das Geschrei ihres Bruders musste in dem Konak
etwas völlig Ungewohntes sein. Auch der Hund hob beunruhigt den Kopf und sah zu
seinem Herrchen hin, das sich so seltsam aufführte.
    Als Sait Nedim sah, wie der Hund
reagierte, rief er: »Aha, dann muss ich also zu weit gegangen sein! Wenn sogar
Graf sich Sorgen macht!« Eine Weile sah er den Hund reglos an. Dann rief er:
»Graf! Graf, bleib liegen, ich habe dich nicht gerufen!« Und seinen Gästen
erklärte er: »In Paris habe ich mal eine vornehme Dame gesehen, die ihren
pinkelnden Hund von einem Strommasten wegziehen wollte und dabei immer rief:
Pascha! Na los, Pascha, komm schon! Als Sohn eines Paşa hat mich das
natürlich gekränkt. Daraufhin habe ich meinen Hund eben Graf genannt! Na ja,
was soll’s! Ihr habt wohl schon genug von meinem Kaufmannsgeschwätz, was? Aber
wir sind ja jetzt alle Kaufleute, ob

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