Cevdet und seine Soehne
dieses träge und entschlusslos vor sich hin
rottenden Geistes …
Montag, 27. Dezember
Heute morgen bin ich aufgestanden
und habe Fieber gemessen: 38 Grad. Dabei hatte ich mir gedacht, am Montag gehst
du wieder in die Firma. Im Bett hielt ich es aber auch nicht mehr aus, und so
habe ich mich dick vermummt und bin spazierengegangen, bis zu dem Park mit den
Steinen. Es wehte ein eiskalter Wind. Ich habe mir angesehen, wie es in
Nişantaşı an einem Sonntag morgen so zugeht. Krämer,
Gemüsehändler, einkaufende Frauen, Dienstboten, Kinder, Bäume, hin und wieder
ein Auto. Bis zur Haltestelle der Trambahn nach Maçka bin ich gegangen. An
einer Ecke habe ich Sait Nedims Schwester Güler mit ihrem Hund getroffen. Bei
ihrem Anblick muss ich ein recht seltsames Gesicht gezogen habe, aus lauter
Verlegenheit und Verwirrung. Auch wenn es völlig absurd ist, war mir vor allem
peinlich, mit seit einer Woche unrasiertem Gesicht vor ihr zu stehen. Und dann
fragte sie tatsächlich: »Lassen Sie sich einen Bart stehen?« Mein Gott, warum
setzt mir so Lächerliches derart zu? Was bin ich für ein Mensch? Wo ist nur
mein früheres Gleichgewicht?
Mittwoch, 29.
Am Sonntag abend ist mein Fieber
wieder angestiegen, bis auf 40 Grad. Ich habe mich wieder ins Bett gelegt, und
Doktor İzak ist gekommen. Eine schlimme Grippe sei das, meinte er. Es ist
furchtbar, hier so untätig herumzuliegen.
Freitag, 31.
Mein Fieber fällt und fällt nicht.
Es ist Silvesterabend. Unten spielen sie Bingo. Ich kann weder schlafen noch
sonst etwas machen. Ich fühle mich wie ein leerer, unpersönlicher Gegenstand
ohne Vergangenheit noch Zukunft, wie ein Blumentopf oder, was weiß ich, wie ein
Türklopfer. Genau, ich bin ein Türklopfer.
Sonntag, 2. Januar 1938
Das Fieber will nicht fallen. Ich
liege andauernd im Bett und will an überhaupt nichts denken.
17. Januar
Seit drei Tagen bin ich wieder auf,
war aber noch nicht im Büro. Doktor İzak hat mir geraten, mich noch acht
bis zehn Tage zu Hause auszuruhen. Ich rauche wieder und verbringe den ganzen
Tag im Arbeitszimmer. Mir ist ein richtiger Vollbart gewachsen.
21. Januar
Ich lese intensiv, über Wirtschaft
und Philosophie. Immer wieder komme ich auf Voltaire und Rousseau zurück, aber
nicht mehr mit der gleichen Begeisterung. Heute morgen habe ich Ömer
geschrieben. In der Antwort auf meinen letzten Brief hatte er gemeint, ich
solle ihn doch im Frühjahr besuchen kommen, mit Perihan, aber notfalls auch
allein. Eine Weile habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, und eigentlich tue
ich das immer noch. Eine solche Luftveränderung würde mir bestimmt guttun; das
meint selbst Osman. Allerdings will der, dass ich so schnell wie möglich wieder
in die Firma komme. Was ich da durchgemacht habe – und ganz vorbei ist es noch
nicht –, war vielleicht nichts anderes als eine Grippe. Irgend etwas steckt mir
noch immer in den Lungen, und mein röchelnder Husten hört sich gar nicht gut
an; Perihan zieht dabei jedesmal die Stirn kraus. Und dann möchte ich noch
folgendes schreiben: Ich ertappe mich in letzter Zeit immer öfter dabei, wie
ich an Güler denke. Mich interessiert, was sie so macht, und überhaupt ihr
ganzes Leben. Das ist nichts anderes als ganz normales Interesse daran, wie ein
anderer Mensch so ist und was er denkt, doch obwohl ich das genau weiß,
empfinde ich irgendwie das Bedürfnis, das hier niederzuschreiben. Draußen
schneit es sehr heftig …
27. Januar
Der Januar geht zu Ende, und ich war
noch immer nicht in der Firma. Meine Lungen sind wieder in Ordnung, ich fühle
mich gesund und munter und sitze den ganzen Tag im Arbeitszimmer und lese.
Manchmal gehe ich mit Perihan spazieren oder ins Kino. Ich habe mein altes
Leben wiederaufgenommen, mit einer großen Ausnahme: Ich gehe nicht mehr in die
Firma. Meine Mutter und Osman haben mich mehrfach nach dem Grund dafür gefragt,
und jedesmal habe ich etwas von wegen schwacher Gesundheit und Müdigkeit
gestammelt. Ich habe aber vor, in der ersten Februarwoche wieder hinzugehen.
Osman habe ich um bestimmte Bücher gebeten, und er hat sie mir auch beschafft,
und ich lese sie voller Eifer. Staatliche Wirtschaftslenkung, Reform und
Organisation, Staat und Individuum, Steuerpolitik. Von der Zeitschrift Teşkilat habe ich mir
sämtliche alten Ausgaben besorgen lassen. Ich bin guter Dinge. Ich kann sagen,
dass ich fast wieder zu meiner alten Gesundheit und meinem früheren
Gleichgewicht zurückgefunden habe. Für dieses Tagebuch sehe ich keinen
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