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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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verboten vorgekommen,
jede Sekunde davon eine Sünde.
    Heute den ganzen Tag in der Firma
gewesen. Abends habe ich Radio gehört. Ich lese in Rousseaus Bekenntnissen, doch
geben sie mir weniger als erhofft. Was soll ich tun? Manchmal denke ich mir: Wenn
ich doch nur an Gott glauben könnte!
    Ich habe Muhittins Gedichte noch
einmal gelesen. Eigentlich finde ich nichts Besonderes daran.
    23. September
    Heute war ich in der Firma und bin
dann missmutig nach Hause. Ich habe die Bekenntnisse irgendwo in der
Mitte aufgeschlagen und da und dort gelesen. Das hat mich etwas aufgemuntert,
was ich aber auch seltsam finde. Dann habe ich noch etwas Zeitung gelesen, und
nach diesem Eintrag hier gehe ich ins Bett.
    İsmet Paşa ist heute
zurückgetreten, aus Gesundheitsgründen. Neuer Ministerpräsident wird Celâl Bayar.
    Mittwoch, 29. September
    Schon wieder Bayram! Am Nachmittag
bin ich mit Perihan zum Taksimplatz spaziert. Auf dem Rückweg haben wir
gestritten. Sie hat mir vorgeworfen, immer so ein Gesicht zu ziehen, aber nie
deutlich zu sagen, was mir eigentlich nicht passt. Perihan hat auf offener
Straße geweint. Ich habe versucht, ihr klarzumachen, dass ich an ihr rein gar
nichts auszusetzen habe, aber ohne Erfolg. Mir ist deutlich, dass ich mit
meinen Verstimmungen und Merkwürdigkeiten als Ehemann aus der Reihe falle.
    7. November
    Ich habe im Büro
mit Osman über die Lage der Firma gesprochen: über den im Vergleich zum Vorjahr
deutlich angestiegenen Gewinn, die neue Lagerhalle, die so bald wie möglich
fertig werden muss, und die kleinen, aber sehr bezeichnenden
Buchhaltungsfehler, die Sadık seit dem Tod unseres Vaters jeweils zu
seinen Gunsten unterlaufen sind. Osman ist der Ansicht, dass wir mehr auf den
Export setzen sollten. Ich habe betont, wie gut es ist, dass die Geschäfte so
reibungslos laufen. Dann habe ich durchblicken lassen, dass ich vielleicht gar
nicht mehr ins Büro zu kommen brauche, aber das scheint er nicht erfasst zu
haben. In der Eingangshalle und in seinem Büro hat Osman Bilder von Papa
aufgehängt.
    Dienstag, 23. November
    Ich komme mir vor wie ein Fisch, der
irgendwo an Land nach Sauerstoff schnappt. Ich zwinge mich, in die Firma zu
gehen, weil ich einfach denke, das gehört sich so. Im Büro stürze ich mich in
die Arbeit, vergesse mich darin, ja versuche zu vergessen, was ich da mache und
wer ich überhaupt bin. Aber mein Gewissen oder meine innere Unruhe lassen mich
nicht los … Zu Hause gehe ich herum wie ein Betrunkener. Ich versuche zu
lesen, kann mich aber nicht konzentrieren.
    23. November
    Mit meinen ganzen Gewissensbissen
bin ich wohl eher wie ein Christ veranlagt. Manchmal denke ich mir, um wieder
zu meiner Balance zurückzufinden, müsste ich einfach alles vergessen. Ich bin
ins Büro gegangen und müde nach Hause
gekommen. Jeden Abend denke ich auf dem Heimweg: »Jetzt reicht’s, morgen gehst
du nicht mehr hin!« Und am Morgen sage ich mir dann: »Na ja, kannst da dort ein
wenig herumsitzen und dann wieder heimgehen.« Aber zu Hause habe ich ja nichts
zu tun; nichts, was mich dort halten würde oder worüber ich nachdenken könnte.
So widme ich mich eben den Geschäften.
    Samstag, 4. Dezember
    Am Abend haben Perihan und ich vor
dem Polizeirevier Sait Nedim getroffen, der gerade seinen Hund spazierenführte.
Es war ihm sichtlich unangenehm, auf uns zu stoßen. Wir haben im Stehen ein
wenig Konversation gemacht. Ich musste dabei an das Abendessen damals
zurückdenken, an den vielen Likör, den er getrunken hatte. Warum sind wir so,
wie wir sind, und so anders als die Europäer? Warum lese ich gerne Rousseau und
Voltaire, während mir Tevfık Fikret und Namık Kemal kaum etwas
bedeuten? Warum bin ich so, wie ich bin?
    Montag, 13. Dezember
    Ich bin in die Firma gegangen. Von
Ömer ist ein Brief eingetroffen. Er schreibt, er werde auch den Winter in Kemah
verbringen, und seine Hochzeit verschiebe sich auf nächsten Herbst. Er arbeite
an einer Tunnelbaustelle, sei ziemlich erschöpft und habe den Rest der Welt
schon ganz vergessen. Ich wollte ihm eigentlich gleich antworten, brachte aber
nichts zustande. Mir kam nur lauter Negatives in den Sinn, und so ließ ich den
Brief. Ich will ihn hier zu Hause in der Bibliothek fertigschreiben, die ich
wieder in ihren alten Zustand zurückversetzt habe, nachdem Mama, als Papa
gestorben war, eine Art Moschee daraus gemacht hatte. Jetzt ist wieder alles an
seinem Platz. Abends ziehe ich mich hierher zurück und sitze herum. Ich
kritzele Zettel

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