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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Tischdecke.
    »Komm doch herein!« sagte die Frau.
»Zieh aber die Schuhe aus. Mein Gott, bist du elegant! Was führt dich denn
hierher?«
    »Weißt du, mein Bruder ist krank
…«
    »Ach!«
    Cevdet glaubte aus diesem Ausruf
leisen Spott herauszuhören. Er zog die Schuhe aus, nahm dort Platz, wo Zeynep
hingedeutet hatte, blieb dort zappelig sitzen. »Ich bleibe aber nicht lange
…«
    »Dein Bruder will wahrscheinlich
Ziya sehen!«
    »Ja!«
    »Geht es ihm sehr schlecht?«
    »Ziemlich!«
    »Du nimmst mir Ziya also weg? Na ja,
wozu wärst du auch sonst hierhergekommen …«
    »Ach Tante, ich habe einfach nie
Zeit! Ich denke so oft an euch, aber ich komme eben zu nichts!«
    »Ich hol den Jungen mal her«, sagte
Zeynep und stand auf.
    Cevdet dachte: »Es ist gar nicht so
schlimm wie befürchtet! Sie hat mich freundlich empfangen. Diese Menschen
verstehen sich noch auf Herzlichkeit. Und ich bin eben ein Kaufmann geworden.
Aber auch dafür haben sie Verständnis … Ich habe mir das alles viel schlimmer
ausgemalt! Wie spät ist es eigentlich? Oje, zum Essen mit Fuat werde ich zu
spät kommen!«
    Bald war die Frau mit einem Tablett
und einem Glas darauf wieder zurück. »Kirschsaft! Magst du doch …«
    Cevdet errötete vor lauter
Verlegenheit und suchte krampfhaft nach den passenden Worten; schließlich
bedankte er sich nur.
    »Ich habe nach dem Jungen geschickt,
er kommt gleich. Geht es seinem Vater wirklich so schlecht?«
    Cevdet nickte. Dann schwiegen sie
eine Weile.
    Schließlich fragte die Frau: »Wie
gehen bei dir die Geschäfte, mein Junge?«
    Cevdet winkte ab. »Herzlich
schlecht!« Dann steckte er hastig die Hand mit dem Ring daran in die Tasche.
    »Na ja, es wird schon wieder werden.
Zur Zeit geht alles einen schlechten Gang. Möge Gott uns beistehen!«
    Wieder schwiegen sie.
    Mit einemmal stand Cevdet auf und
sagte, Ziya werde von seinem Vater schon erwartet. Zeynep spähte daraufhin aus
dem Fenster nach dem Jungen.
    »Da kommt er ja! Aber bring ihn mir
bloß zurück! Wann kommst du wieder?«
    Cevdet versprach, Ziya
zurückzubringen, sobald sein Vater ihn gesehen habe. Es könne lediglich sein,
dass der Junge ein paar Tage lang bei seinem Vater verbleibe. Dagegen hatte die
Tante nichts einzuwenden, aber dennoch legte sie ein gewisses Misstrauen an den
Tag, das Cevdet weh tat. Gemeinsam gingen sie hinaus. Da sah Cevdet im Garten
doch etwas Neues, nämlich einen Hühnerstall, auf dem ein Huhn herumstolzierte.
    Die Glocke rief Cevdet wieder in
seine Kindheit zurück. Um das Coupé herum standen neugierige Kinder. Eines
davon kam Cevdet bekannt vor.
    »Schau mal, Ziya, wer da ist!« rief
Zeynep. »Dein Onkel Cevdet! Kennst du ihn noch?«
    Der Junge ging einen Schritt auf
Cevdet zu. Der elegant gekleidete Onkel schüchterte ihn wohl ein. Ziya blickte
abwechselnd Cevdet und Zeynep an und tat dann noch ein paar furchtsame
Schritte.
    Zuletzt hatte Cevdet ihn sechs Jahre
zuvor beim Opferfest gesehen. Damals musste Ziya etwa drei oder vier gewesen
sein. Er streichelte dem Jungen über die Wange. Betont freundlich fragte er
ihn: »Na, erkennst du mich wieder?«
    Der Junge nickte bange.
    »Ziya, dein Onkel macht mir dir
einen Ausflug, und dann bringt er dich wieder zurück. Hast du Lust auf einen
Ausflug?«
    »Mit der Kutsche?« fragte der Junge
und wandte sich zu dem Coupé um, wo einer seiner Freunde gerade den Kutscher
etwas fragte.
    »Ja, mit der Kutsche! Dein Onkel
wird dich ein wenig herumfahren! Willst du mitfahren in der Kutsche?«
    Cevdet schielte zum Kutscher hinüber
und hörte gar nicht richtig zu.
    »Ja«, flüsterte der Junge.
    »Dann geh und zieh dich um. In dem
Aufzug kannst du da nicht einsteigen.«
    Ziya lief ins Haus. Ein anderer
Junge rief: »Mensch, Ziya fährt mit der Kutsche mit!«
    Die Tante wandte sich wieder zu Cevdet.
»Du bringst ihn aber zurück nach Hause und lässt ihn nicht bei seinem Vater,
ja?«
    Einer der Jungen, die um die Kutsche
herumstanden, sah sich genauestens die Räder an. Zu einem anderen sagte er:
»Schau dir mal die Federn an, die sind aus Stahl. Die federn viel besser ab als
andere.«
    Die Sonne brannte auf die enge Gasse
herab. Die Pferde wurden mit ihrem Schwanzschlagen der Fliegen kaum Herr. Aus
einem unvergitterten Fenster sah ein alter Mann auf die Kutsche. Es kam ein
Wind auf und wehte den Straßenstaub hoch. Alle schlossen unwillkürlich den Mund
und kniffen die Augen zu, bis der Wind sich wieder gelegt hatte.
    »Schimpft er immer noch auf den
Sultan?« fragte die

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