Cevdet und seine Soehne
Tante.
»Er ist jetzt sehr krank«, erwiderte
Cevdet mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Da kam Ziya aus dem Haus gelaufen,
und Cevdet küsste noch einmal die Hand der Tante.
Die fasste Ziya am Arm und sagte:
»Mach mir ja keine Dummheiten, hörst du? Der Onkel wird dich später wieder
heimbringen.« Dabei warf sie Cevdet einen kurzen Blick zu.
Cevdet nahm den Jungen an der Hand
und stieg gemeinsam mit ihm ein. Alle anderen Kinder hatten sich um die Kutsche
geschart.
Ein Junge rief: »Ziya fährt weg! Ziya fährt weg!«
Die Kutsche fuhr los. Ziya blickte
aus dem Fenster so lange zu seiner Tante zurück, bis sie nicht mehr zu sehen
war. Dann drehte er sich zu Cevdet um und musterte ihn furchtsam. Als er sich
hinreichend in Sicherheit fühlte, sah er nur noch zum Fenster hinaus, um sich
nichts entgehen zu lassen und die Ausfahrt möglichst zu genießen.
Cevdet war darum bemüht, mit dem
Jungen ins Gespräch zu kommen, doch merkte er bald, dass Ziya dadurch nur
beunruhigt wurde, und so verschob er seine Fragen auf später. In Aksaray wies
er Ziya auf die Moscheen und andere Sehenswürdigkeiten
hin. Er fragte ihn, ob er denn im Ramadan nie hierhergekommen sei. Er versuchte
auch zu erläutern, was es mit dem Kriegsministerium auf sich hatte, doch Ziya
gab weniger auf Worte als auf das, was er sah.
Als sie über die Brücke fuhren, sah
Cevdet auf die Uhr und stellte erstaunt fest, dass es schon sechs war. Er hatte
eigentlich Ziya darüber aufklären wollen, dass sein Vater krank war, doch ging
ihm das nicht über die Lippen. Der Blick des Jungen hatte etwas irgendwie
Beunruhigendes an sich. Cevdet dachte: »Wenn ich diese Scherereien doch nur
schon hinter mir hätte und der Junge bei seinem Vater wäre!« Zur Ablenkung ließ
er seine Gedanken zu seinen geschäftlichen Sorgen und Plänen schweifen.
Als sie vor der Pension ankamen, war
Cevdet sogleich klar, dass er Ziya nun doch rasch den Zustand seines Vaters
beichten musste. So sagte er auf der Treppe: »Dein Vater ist kürzlich von einer
Reise zurückgekehrt, und jetzt ist er krank. Wir sind mit der Kutsche
herumgefahren, und nun besuchen wir ihn, er will dich nämlich sehen. Da er
krank ist, liegt er im Bett, und da ist auch noch eine Frau, die kümmert sich
um ihn. Du siehst ihn also jetzt gleich. Es gibt gar nichts zum Fürchten! Und
zu Tante Zeynep bringe ich dich heute abend oder spätestens morgen zurück.«
Mari öffnete ihnen die Tür. Sie
begrüßte Ziya lächelnd. Dann beugte sie sich zu ihm hinab, küsste ihn auf die
Wange und bedeutete ihm, leise zu sein.
»Er schläft!«
Ziya betrat hinter Cevdet zögernd den
Raum. Nusret schlief mit dem Rücken zur Tür, und der Junge äugte ängstlich auf
die Gestalt unter der Bettdecke. Als hätte er Angst, etwas zu zerbrechen,
setzte er sich dann vorsichtig auf den Stuhl, den Mari ihm zuwies.
Mari ging zu Cevdet und flüsterte
ihm zu: »Der Arzt hat gesagt, dass es gar nicht gut um ihn steht. Er hat ihm
Medikamente verschrieben und ihm eine schmerzstillende Spritze gegeben. Die
wollte er erst nicht, aber schließlich hat er eingewilligt, und jetzt schläft
er eben.«
»Dann gehe ich jetzt«, flüsterte
Cevdet zurück. »Heute abend komme ich wieder!«
»Wie Sie meinen. Und vielen Dank!
Ach ja, was ich noch sagen wollte: Erzählen Sie ihm bitte nichts von dem
Attentat auf den Sultan. Wenn er davon erfährt, wird er sich aufregen und Fieber
bekommen.« Ohne abzuwarten, bis Cevdet hinausging, setzte Mari sich zu Ziya und
begann auf ihn einzureden.
Cevdet merkte erstaunt, dass sie mit
Ziya nicht wie mit einem Kind sprach, sondern ganz ernsthaft wie mit einem
Gleichgestellten. Nun fürchtete er doch, dem Reiz der Frau zu erliegen, und
dachte: »Ja schon, aber sie ist doch eine Schauspielerin! Wie sollte sie je
eine Familie haben!« Dann ging er hinaus.
6
DAS MITTAGESSEN
Draußen ging Cevdet sogleich zu seinem
Kutscher, der wieder eine seiner widerlich stinkenden Zigaretten rauchte. Er
teilte ihm mit, er wolle um halb acht am Eingang des Clubs Serkldoryan abgeholt
werden. Nach orientalischer Zeit war es gerade Viertel nach sechs.
Mit Fuat war er um halb sieben
verabredet. Da Cevdet selbst nicht Clubmitglied war, wäre es ihm unangenehm
gewesen, allein einfach so hineinzuspazieren, und so ging er lieber noch etwas
auf der Hauptstraße herum. Er betrat die Aleppo-Passage und sah sich die
Reklamen für Varietétheater an. Einmal hatte er die Vorstellung einer
europäischen Operettentruppe besucht und sich
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