Cevdet und seine Soehne
dabei furchtbar gelangweilt. Er
wunderte sich, worauf die Menschen alles verfielen, um sich die Zeit zu
vertreiben, und sah sich die Auslagen, die Passanten, die vorbeifahrenden
Kutschen an. Als er sich eine Zigarette anzündete, dachte er wieder daran, dass
er nach dem Mittagessen um acht Uhr im Konak von Şükrü Paşa in Teşvikiye sein würde. Da tauchte
auch schon Fuat auf.
Cevdet und Fuat waren gleichaltrig
und hatten auch sonst einiges gemeinsam. Sie teilten das Schicksal, als Muslime
zu wohlhabenden Kaufleuten geworden zu sein, und hatten sich nach dem Kennen
lernen rasch angefreundet. Außerdem waren sie beide ledig, waren großgewachsen
und schlank und trieben Handel mit Eisenwaren. Damit aber waren die
Gemeinsamkeiten erschöpft, wie Cevdet fand, denn Fuat entstammte einer zum
Islam übergetretenen jüdischen Familie mit kaufmännischer Tradition, darüber
hinaus war er Freimaurer und verfügte in Saloniki über einen ausgedehnten
Bekanntenkreis. Seit zwei Jahren gingen die beiden regelmäßig gemeinsam zum
Essen, wenn Fuat aus Saloniki, wo er seine Firma und seine Familie hatte, nach
Istanbul zu Besuch kam. Sie gingen dabei durch, was sich seit dem letzten
Treffen bei ihnen alles getan hatte, erörterten ihre Pläne hinsichtlich einer
geschäftlichen Zusammenarbeit oder gar Partnerschaft und ihre jeweiligen
Heiratsabsichten und plauderten schließlich ungezwungen über den neuesten
Klatsch und Tratsch. Die Freundschaft mit Fuat war für Cevdet auch insofern lehrreich
und von Nutzen, als sie ihm ermöglichte, ein wenig am Gesellschaftsleben der
Istanbuler Reichen und Privilegierten teilzuhaben und sich in den Elitekreisen
zu bewegen, in denen er sonst nur eine Randerscheinung war. Er hatte das
Gefühl, durch einen einzigen Besuch in jenem Club ein Mehrfaches von dem zu
lernen, was er sich ansonsten durch monatelange Zeitungslektüre und
aufmerksames Verfolgen jeglicher Gerüchte mühsam aneignen musste. Hier, umgeben
von Samt und Seide, von Kronleuchtern und vergoldeten Sesseln, wähnte er den
Geheimnissen der unbegreiflichen und sich ständig wandelnden Welt der Preise
und Waren mit einemmal auf die Spur zu kommen.
Sie betraten den Club, gingen die
Treppe hinauf und dann zwischen eleganten Sesseln, vergessen dasitzenden
Paşas, Botschaftern, vergoldeten Spiegeln, jüdischen Kaufleuten,
Levantinern, seidenen Vorhängen und überaus beflissenen Kellnern hindurch bis
zu ihrem gewohnten Tisch in einer Ecke. Wie jedesmal war für Cevdet der Weg von
der Clubtür bis hin zu dem Tisch eine wahre Expedition, während der er,
zwischen Bangen und Hoffen schwankend, den errötenden, von seltsamsten Gedanken
verwirrten Kopf möglichst aufrecht trug, um nicht von der Atmosphäre erdrückt
zu werden. Fuat schmunzelte über die Röte im Gesicht seines Freundes und
forderte ihn dann auf, von seiner Verlobung zu erzählen.
»Sie ist abgelaufen wie geplant. Das
habe ich alles Nedim Paşa zu verdanken, der mir sehr unter die
Arme gegriffen hat. Ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Die Hochzeit
wird auch in seinem Konak stattfinden!«
»Woher kennst du Nedim Paşa
überhaupt?«
»Ach, was heißt kennen, er ist eines
Tages in meinem Laden aufgetaucht, und zum Glück hat er Gefallen an mir
gefunden. Wie sollte ich sonst einen Paşa kennenlernen, du weißt ja, in
meiner Familie verkehren solche Leute nicht. Wenn Nedim Paşa nicht gewesen
wäre, hätte ich dieses Mädchen nie und nimmer gefunden! Du kennst mich: Woher
hätte ich sonst wissen sollen, dass Şükrü Paşa eine zu mir passende
Tochter hat? Ich habe niemanden um mich herum, der solche Dinge weiß.« Dabei
senkte Cevdet den Kopf wie ein verzagter kleiner Bruder, der um Zuneigung
buhlt.
Als der Kellner kam, fragte Fuat
Cevdet mit der Miene des beschützenden großen Bruders: »Was möchtest du denn
essen?«
Cevdet kostete es jedesmal aus, bei
sich neue kulinarische Vorlieben zu entdecken. Er hatte sich fast durch die
gesamte Speisekarte gegessen und festgestellt, dass ihm – nicht anders als den restlichen
Gästen – manche Speisen sehr oder außerordentlich zusagten, während ihm anderes
nur leidlich oder auch gar nicht schmeckte. Freudig erregt vom Abenteuer der
gastronomischen Geschmacksbildung, bestellte er zunächst sein geliebtes
Fleischgericht mit Sauce und das Auberginenragout und wollte dann als kleines
Experiment herausfinden, was sich hinter dem Begriff »Soupe Anglaise« verbarg.
Als der Kellner wieder fort war,
zeigte Fuat diskret auf
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