Cevdet und seine Soehne
dem Muhtars. »Schön, freut mich! Wir dachten nur, du seist uns gram. Wir
möchten nämlich keinerlei Ressentiments aufkommen lassen. Sehr schön!«
»Ja, ich kenne sie schon, diese
Politik des Paus: Reparatur der gebrochenen Herzen!« So spöttisch, wie das
klingen sollte, brachte er es nicht heraus.
»Reparatur der gebrochenen Herzen?«
Der Minister lachte auf, als hätte er diesen von jedermann verwendeten Begriff
noch nie gehört. Dann sah er sich um, ob jemand mitbekommen hatte, wie fröhlich
er gegebenenfalls sein konnte.
»Du bist ja recht vergnügt!« sagte
Muhtar grimmig.
Der Minister erschrak ein wenig über
die finstere Miene seines früheren Kollegen. »Und du bist noch
genauso steif wie früher! Lach doch mal ein bisschen!« Dann merkte er, wie
unangebracht das war. »Hör zu, du stehst auf der Liste, und zwar ganz oben. Wir
arbeiten bald wieder zusammen. Du glaubst doch nicht etwa, wir hätten dich
vergessen?« sagte er tadelnd.
»Aber ich bitte dich!« stammelte
Muhtar unbeholfen.
Als hinter ihnen jemand laut
auflachte, drehten sie sich beide um. Der Minister ließ sich die Gelegenheit
nicht entgehen, und als hätte er da, wo das Lachen herkam, jemanden entdeckt,
den er schon seit Ewigkeiten suchte, strebte er eilig von Muhtar weg.
Muhtar sah ihm hinterher.
»İsmet Paşa hat also nach mir gefragt! Und der da soll mich
ausfragen. Es ist sein erster Ministerposten. Vielleicht ist er ja bloß ein
Wichtigtuer. Warum sollte der Paşa sich nach mir erkundigen?« Er drehte
sich zu Refık Saydam um, der neben Köse Iwanow saß. »Wie er lacht! Der
Paşa hat wahrscheinlich gesagt, jemand soll mich besänftigen, und der da
hat den Auftrag ausgeführt. Ich hatte keinen Zweifel, dass man noch zurückkommt
auf mich, aber warum sagen sie mir das ausgerechnet jetzt? Weil sie wollen,
dass Frieden herrscht. Ich soll mich mit meinen Feinden versöhnen. Wer hat
denen bloß hinterbracht, dass ich in den Parlamentsgängen manchmal vom Leder
ziehe? Meinen Wutausbruch neulich haben Hulusi, Sermet und Ekrem mitbekommen.
Sermet würde nicht petzen. Bei Ekrem …« Es schüttelte ihn plötzlich. »Ihr
seid mir allesamt zuwider!« dachte er. Er stand nun allein am Rand des Salons.
»Und ich weiß auch genau, was ihr seid, nämlich lauter Sklavenseelen! Ich weiß
es, weil ich selber mal so war, aber jetzt bin ich aufgewacht! Und dafür müsste
ich İsmet Paşa sogar dankbar sein!« Obwohl er so einsam dastand,
gesellte sich niemand zu ihm. »Bei jedem von euch weiß ich ganz genau Bescheid!
Reparatur der gebrochenen Herzen! İsmet Paşa hatte sogar Angst, nach
Istanbul zu fahren, als Atatürk im Sterben lag, weil Recep Zühtü drohte, ihn zu
erschießen, und jetzt machen sie alle Frieden miteinander!« Er erinnerte sich
an ein Gerücht: Recep Zühtü habe Atatürk gesagt, er habe İsmet Paşa
erschossen, so dass Atatürk in seinen letzten Lebensmonaten den Paşa tot
gewähnt und nur deshalb in seinem Testament angeordnet habe, für die Ausbildung
von İsmets Kindern zu sorgen. Diese Anek dote heiterte Muhtar ein wenig
auf. Und noch munterer wurde er, als er Burhanettin Okay erblickte, den
Abgeordneten von Maraş,
der in der letzten Legislaturperiode für einen verstorbenen Abgeordneten
nachgerückt war. Als er seinen Eid leisten sollte, sagte er: »Danke, dass ihr
mich gewählt habt!« Als man ihm bedeutete, gewählt werde er vom Volk, rief er
laut: »Danke, dass ihr mich habt wählen lassen! Gott schütze euch!« Muhtars
Blick glitt wieder zu Refık Saydam. »Er lacht und lacht! Was gibt es
eigentlich zu lachen, wenn doch alles so armselig und hässlich und gewöhnlich
ist? Denk gefälligst an dein Land, anstatt hier zu grinsen! Dem Land geht es
nämlich …« Dabei fiel ihm Refık ein. »Sein Buch ist herausgekommen. Aber
der Landwirtschaftsminister ist nicht mehr im Amt. Es hat noch ein paar andere
Veränderungen gegeben, natürlich, doch reicht das? Kann man sich mit so wenig
begnügen? Sie haben ihren Frieden miteinander gemacht, alles gütlich bereinigt,
und neue Leute wurden nicht aufgenommen. Hauptsache, es gibt keinen Ärger;
Hauptsache, es läuft alles weiter wie bisher; Hauptsache, es ist niemand
beleidigt! Ich aber bin beleidigt! Ich, Muhtar Laçin, mit meinem lächerlichen
Nachnamen, Absolvent der Verwaltungshochschule, früherer Gouverneur von Manisa,
ich hasse euch alle! Ich bin unglücklich! Das einzige, was ich habe, ist meine
Tochter! Ich hasse euch, ich hasse diese erbärmliche Welt, ich hasse
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