Cevdet und seine Soehne
gleichgesinnten Leuten Freundschaften knüpfen will. Für das
alles hast du nur Spott übrig, jetzt auch wieder. Aber warum bloß? Das verstehe ich
einfach nicht. Ich suche die Schuld immer bei mir selber und denke mir, dass
ich lauter falsche Sachen sage, dass ich nicht so intelligent bin wie du und
dass ich oberflächlich sein muss, weil ich von Dingen was halte, die du nur
verachtest. Aber wenn das so ist, warum kommst du dann noch? Warum kommst du,
wenn ich dir so wenig wert bin? Du musst ja nicht kommen, wir sind lediglich
verlobt!«
»Willst du die Verlobung etwa
lösen?« fragte Ömer leichthin, um die Schuld auf Nazli abzuwälzen. Ihm sausten
die Worte im Kopf herum. Nicht einmal zu Spott war er mehr in der Lage.
»Nein, will ich nicht!« rief Nazli.
»Ich hab dich …« Sie senkte den Kopf, aber gleich darauf zwang sie sich, Ömer
ins Gesicht zu sehen. »Die Briefe, die du mir von der Baustelle geschrieben
hast, die haben mir sehr gefallen. Du hast dich darin über so vieles lustig
gemacht, und ich habe das gern gelesen, denn ich dachte, wir wären da einer
Meinung. Nur merke ich jetzt, dass zu den Leuten, die du verspottest, ich
selber gehöre.«
Ömer versuchte sich empört zu geben
wie jemand, dem ein Unrecht widerfahren ist: »In diesen Briefen habe ich auch
geschrieben, dass ich ein Eroberer sein will!« Er kam sich schäbig vor.
»Ach, ich kann es nicht mehr hören! Mein
Gott, wie kann man nur so kindisch sein, so naiv! Ich kann mich nur wundern,
wie du dieses Wort so voller Ernst benutzen und so daran hängen kannst! Ich
mach mir sogar Vorwürfe, weil ich das nicht begreifen kann, aber ich begreife
es nun mal nicht!«
Nun glaubte Ömer tatsächlich, dass
ihm Unrecht geschah. »Ja, das stimmt, begreifen tust du mich wirklich nicht!«
»Wie kann man nur so eingebildet
sein!« rief Nazli. »Du musst da irgendwas ganz Geheimes wissen, von dem ich
keine Ahnung habe! Nur, was soll das sein? Jedenfalls –«
»Ehrgeiz nennt man das!« rief Ömer.
»Ich bin so komische Diskussionen nicht gewöhnt«, rief er dann. »Ich verstehe
nicht mal, wie man über so etwas überhaupt reden kann. Ich habe keine Lust, den
reifen Menschen zu spielen, der zu allem eine Meinung hat. Ich will ich selber
sein. Sowohl leben als auch spotten, sowohl stark und intelligent sein als auch
…« Er hielt inne. » Ja, oder vielmehr nein, ich bin hässlich … Ich bin ein
richtiger Türke! Kann einfach nicht den Mund halten. Immer denke ich nur an
mich. Und sehe jeden nur als Mittel zum Zweck. Ich bin sonderbar, und ich weiß
es auch. Ich bin ehrgeizig, feige, und jetzt bin ich betrunken. Ich kenne
Europa …« Er stand auf. »Das Abendessen … Bin ich etwa ein Schmarotzer? Dabei
habe ich auf der Baustelle mehr gearbeitet als jeder andere. Das ist doch
furchtbar … Ich werde heiraten … Ich will … Ich habe Angst.« Er fragte
sich, was Nazli wohl jetzt von ihm hielt. Am liebsten hätte er sie umarmt, doch
hätte er es getan, so wäre es doch nur wieder gewesen, als würde er sich selbst
dabei zuschauen. So blickte er nur müde in Nazlis furchtsames Gesicht und sagte
lächelnd: »Warum habe ich bloß so viel getrunken!«
»Dir geht es nicht gut!« sagte
Nazli. »Fahr in dein Hotel und lege dich ins Bett!«
»Ach, wenn du wüsstest, wie gern ich
hier bei dir bleiben würde!«
»Steh nicht so herum, setz dich doch!«
»Was bin ich für ein Mensch? Wie
siehst du mich? Wie sehen mich die anderen?«
»Na ja, du scheinst dort in Europa gelernt
zu haben, an dich selber zu denken. Das sagst du ja auch selbst.«
»Ja, stimmt schon! Das macht mich ja
so hässlich!« rief Ömer. »Vernunft! Nein: das Selbst! Ich weiß, dass ich ich
selber bin! Das weiß hier keiner sonst! Und da nur ich es so ganz und gar weiß,
werde ich auch so komisch. Zum Tier werde ich. Ja, ich bin ein Tier! Unter
lauter quicklebendigen, ausgeglichenen Menschen laufe ich mit meinen bösen
Gedanken herum wie ein Tier! Und noch dazu bin ich ein Chef! Ein
fürchterlicher, hinterhältiger, heuchlerischer Chef!«
»Bitte hör jetzt endlich auf, ich
halte es nicht mehr aus!« Nazli schlug die Hände vors Gesicht. Plötzlich
horchte sie auf. »Mein Vater kommt!«
Ömer, der nichts gehört hatte,
fragte: »Meinst du wirklich?«
»Jaja, er kommt! Ich habe seine
Schritte gehört!«
»Na ja, ich wollte sowieso gerade
gehen! Die Köfte waren ausgezeichnet, vielen Dank. Wie soll es jetzt
weitergehen? Warum soll ich noch mehr arbeiten und noch mehr Geld verdienen?
Weil
Weitere Kostenlose Bücher