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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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eingeladen?« Wieder musste
er sich die gleiche Antwort geben: »Als Trostpflaster!« Er nickte sinnierend.
»Aber so leicht bin ich nicht zu trösten! Niemand kann mich trösten! Außer
meiner Tochter!« Er dachte an Nazlis Probleme. »Ihr ganzes Unglück rührt nur
daher, dass sie sich in diesen eingebildeten, schlechten Kerl verliebt hat!«
Immer wenn er an Ömer dachte, kam ihm dieser Begriff in den Sinn:
»Eingebildeter Kerl!« Beschämt merkte er plötzlich, dass er zurückdachte, wie
er selbst in Ömers Alter gewesen war. »Ich werde alles tun, damit meine Tochter
nicht unglücklich wird. Wenn es sein muss, werde ich mir das Bürschchen mal
vorknöpfen!« Das Taxi quälte sich die steile Straße hinauf. Muhtars Kopf war
angelehnt; mit einem Ruck hob er ihn hoch: »Was sie wohl jetzt zu Hause machen?
Ausgerechnet heute hat Hatice Ausgang!« Er sah auf die Uhr und merkte, dass Ömer ja wohl noch gar nicht
eingetroffen war. Kurz darauf dachte er trotzdem wieder: »Was sie wohl jetzt
machen? Vielleicht braucht Nazli Hilfe, und ich fahre zu dieser dummen
Veranstaltung …« Er verzog das Gesicht. »Köse Iwanow! Bulgarischer
Ministerpräsident! Dass ich nicht lache!«
    Vor dem Hotel stieg er aus und sah
sich mit spöttischer Miene das Gewimmel der Bediensteten und Funktionäre an. In
der Gewissheit, gerade zur rechten Zeit gekommen zu sein, schritt er
selbstbewusst die Treppe hinauf und ging durch den Korridor, der ihm von
mehreren Besuchen her bekannt war, in den Salon. Dort blieb er erst einmal
stehen, wie betäubt von Lichterglanz und Stimmengewirr. Dann sah er zwei ihm
bekannte Abgeordnete, die sich in einer Ecke im Stehen unterhielten, und
lächelnd ging er auf sie zu. Ihm war, als sei der Spott in seinen Augen nun
ganz und gar unübersehbar.
    »Darf ich mich den Herren
anschließen?«
    »Ah, Muhtar! Aber bitte schön!«
    Die beiden erörterten gerade die
Balkan-Entente, doch kaum gesellte sich Muhtar zu ihnen, kamen sie irgendwie
auf eine Zeitungsmeldung zu sprechen, laut der rohes Fleisch der Gesundheit
förderlicher sei als gekochtes. Schmunzelnd lauschte Muhtar den beiden und sah dabei
diskret in die Runde. Innerhalb weniger Minuten hatte er heraus, wer wo mit wem
beisammensaß. Es waren kaum mehr als achtzig Leute versammelt, von denen so gut
wie jeder ein Amt innehatte, und Muhtar wurde wieder schmerzlich bewusst, dass
er selbst nur zum Trost eingeladen worden war. Das Gespräch über rohes und
gekochtes Fleisch zog sich in die Länge. Neben der Gattin Köse Iwanows und
seiner Stieftochter, die im Scherz ganz anders bezeichnet wurde, erblickte
Muhtar den Kahlkopf des neuen Ministerpräsidenten Refık Saydam und dachte
spontan: »Mein Gott, was soll der bloß haben, was ich nicht habe?« Er spürte,
wie das Spöttische in seinem Gesicht erlosch. »Der ist Ministerpräsident
geworden und ich gar nichts! Refık Saydam! Militärarzt! Im Krieg die
rechte Hand von Heeressanitätschef Numan Paşa. Hatte lediglich das Glück,
in dem Schiff mitzufahren, mit dem sich Atatürk in den Unabhängigkeitskrieg
aufmachte! Weitere Verdienste: Fehlanzeige! Nichts weiter als ein Sklave
İsmet Paus! Als Minister zurückgetreten, als İsmet Paşa zurücktrat. Und nun selber
Ministerpräsident! Und ich ein Nichts! Ein zum Trost eingeladenes Nichts! Wozu
bin ich überhaupt gekommen! Ab nach Hause! Was Nazli wohl macht?«
    »Ah, Muhtar, wie geht’s denn so!«
    Muhtar blickte auf: Innenminister
Faiz Öztrak! Muhtar dachte: »Was lacht er mich denn so an?« Dann sagte er:
»Danke der Nachfrage!« Und schämte sich sogleich wegen dieser albernen Antwort.
Überrascht sah er, wie der Minister sich kameradschaftlich bei ihm unterhakte.
    Der Minister entschuldigte sich bei
den beiden Abgeordneten, weil er ihnen Muhtar entführte, und nahm ihn ein wenig
beiseite.
    »Sag mal, was ist denn los mit dir? Bedrückt dich etwas?«
    »Nein, nein«, erwiderte Muhtar, ganz
erstaunt über diesen lockeren Ton. Doch kannten sich die beiden von ihrem
Studium und ihrer Arbeit im Innenministerium her.
    »Es heißt, du läufst herum wie ein
Trauerkloß und beklagst dich überall!«
    »Ich? Wer sagt das?«
    »Offen sagen tut es niemand, aber
İsmet Paşa hat neulich gefragt, ob du uns böse bist.«
    »Hätte ich einen Anlass dazu?«
fragte Muhtar hintergründig. »Was weiß ich? Das musst du selber am besten
wissen!« erwiderte der Minister und lächelte einer dicken Frau zu.
    »Was soll es da zu wissen geben?«
    Der Innenminister löste seinen Arm
von

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