Cevdet und seine Soehne
führten ihn auch
seine Füße wie von selbst zum Taxistand. Während er dann im Taxi an seiner
Zigarette zog, hielt ihm sein Gewissen noch einmal vor, wie schlecht sein Plan
doch sei, doch Ömer brachte es zum Schweigen, denn Alternativen hatte er nicht.
Und als er dann in dem Salon, den
manche »Lobby« nannten, schon in seinem Sessel saß, sagte er sich zur weiteren
Gewissensberuhigung: »Bitte, ich war draußen, ich bin herumgegangen, aber ich
habe nun mal nichts anderes gefunden. Mich trifft also keine Schuld!« Die
Familie mit den Koffern war nicht mehr da, aber der ältere Herr las noch immer
in der gleichen Zeitung. Neben dem großen Kaktus in der Ecke saß nun ein Ausländer.
Der Kellner sah Ömer an seinem Stammplatz und wusste genau, was er bestellen
würde, aber er ging dennoch zu ihm hin, und sein Blick besagte dabei, dass
diese Formalität nun mal zu vollziehen sei. Ömer bestellte Cognac. »Jetzt kann
es losgehen!« dachte er. Da er noch schlechter gelaunt war als sonst und damit
geneigt, an allem nur die hässlichste Seite zu sehen, würde der Alkohol die
schlechten Gedanken nur so anfeuern.
Als ihm der wohlvertraute
Cognacschwenker gebracht wurde, dachte er aufatmend: »Nur gut, dass ich nicht
zu Samim bin! Ich hätte mich ja doch nur mit leerem Geschwätz betäubt! Viel
besser ist es, alles mal zu überdenken.« Er
nahm einen Schluck aus dem Glas. »Warum haben Nazli und ich gestritten? Da das
mit unseren anderen Krächen zu tun hat, sollte ich eher fragen: Warum streiten
wir uns andauernd?« Da merkte er, dass er zu nüchtern war, um sich auf diese
Frage einzulassen, und kippte den Cognac hinunter. »Was erwartet Nazli von mir?
Dass ich ein guter Ehemann bin und ein erfolgreicher Unternehmer. Dass ich sie
liebe, sie beschütze und ihr ein Heim biete. Ist das alles?« Er schüttelte den
Kopf. »Alles kann man gar nicht aufzählen, aber der Einfachheit halber wollen
wir mal sagen, das sei alles. Aber was erwarte ich von ihr?« Er starrte in sein
Glas hinein. Dann bestellte er einen zweiten Cognac. »Was will ich von ihr?«
Darauf wusste er nie eine triftige Antwort. »Was erwartet jemand in meiner
Situation von einer Frau? Nichts! Gar nichts? Ich will nur sie selber!« Er
merkte, wie ihm der Alkohol ins Blut schoss, und murmelte, jede Silbe betonend:
»Ich will nur sie!« Er versuchte, seine aufsteigende Wut mit einem Scherz zu
bändigen: »Ich will sie, und sie will lauter Hausrat!« Ihre
Auseinandersetzungen liefen in letzter Zeit immer auf das gleiche hinaus: Nazli
wollte nach Istanbul fahren, um die Hochzeit vorzubereiten, Möbel zu kaufen und
auf Haussuche zu gehen, und Ömer hielt stets dagegen, dass er in Ankara noch zu
tun habe. Dabei wussten sie beide haargenau, dass er eben nichts zu tun hatte.
»Aber nach Kemah muss ich, um die letzten Baufahrzeuge zu verkaufen!« dachte er
und ahnte doch, dass damit der Sache nicht beizukommen war. »Ich will nicht
nach Istanbul! Und zwar deswegen nicht, weil …« Er stand auf. »Weil ich …«
Mit dem leeren Glas in der Hand ging er auf die Tür zu. Als er den Kellner sah,
gab er ihm das Glas und bestellte noch einen Cognac. Auf dem Rückweg zu seinem
Sessel trafen sich seine Blicke mit denen des Ausländers neben dem Kaktus. Der
Ausländer schien ihn anzulächeln, und auf gut Glück lächelte Ömer zurück. »Ein
Engländer? Ach, England!« dachte er. »Hätte ich dort bleiben sollen? Vielleicht
ein Deutscher? Herr Rudolph! Was wohl Refık jetzt macht? Ich wollte nach
Istanbul wie ein einsamer Eroberer …« Er sackte wieder in seinen Sessel.
»Ganz ruhig. So zu denken hat keinen Sinn.« Beinahe feindselig starrte er das
Glas an, das der Kellner vor ihn hinstellte. »Nazli und ich streiten, weil sie
weiß, was sie will, und ich nicht. Was will ich? Eigentlich ganz
klar, ich sage es ja immer wieder: ein Eroberer sein! Und was bedeutet das
konkret? Ich meine, was bedeutet es anderen, oder was soll es ihnen bedeuten?
Ganz einfach: dass ich nicht wie jedermann und nicht genügsam sein will. Ich
will kein gewöhnlicher Familienvater sein, der sich mit neuen Möbeln, einem
neuen Haus und mit Kindern begnügt. Und was will ich statt dessen? Ich! Ich!
Ich sage immer nur ›ich, ich‹. Ich weiß, wie hässlich das ist. Ich –«
Erschrocken hielt er inne. »Ich weiß nur, was ich nicht will, und nicht, was
ich will! Ich bin jung. Jetzt habe ich schon wieder angefangen zu denken. Ich
darf nicht denken. Das Denken ist nichts für mich! Warum habe ich bloß
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