Cevdet und seine Soehne
Schwester Lâle
erzählte, wie der Widder noch gezittert hatte, nachdem die Kehle
durchgeschnitten war. Lâle hatte das Schlachten nicht mit ansehen können. Nigân
stellte beruhigt fest, dass ihre Enkel einen gesunden und lebhaften Eindruck
machten. Ihre Tochter Ayşe dagegen saß wie immer still und trübsinnig da.
Nuri kam aus der Küche heraus, und
da Nigân es als erste wahrnahm, verkündete sie mit gelassener Märchenerzählerstimme,
es sei nun soweit. Ohne auf Nuris Füße zu blicken, merkte sie an den Bewegungen
des Kochs, dass er tatsächlich wieder auf Zehenspitzen ging. Mit blinzelnden
Augen sah sie zu, wie er die Servierplatte feierlich auf den Tisch stellte. Nach
kurzer andächtiger Stille setzte ein fröhliches Lärmen ein, und jeder
begutachtete das servierte Mahl.
Auf der edlen Servierplatte war mit
Erbsen verzierter Reis zu kleinen Türmchen angehäuft, die von kleinen
Fleischstückchen umgeben waren. Es handelte sich allerdings nicht um Fleisch
von den Opfertieren. Neun Jahre zuvor, nach einem ebensolchen Essen zum
Opferfest, hatte Cevdet sich, wohl auch infolge des schon am Vormittag
reichlich genossenen Likörs, in die Stehtoilette im Erdgeschoss übergeben, wonach
man darauf verzichtet hatte, das frische Fleisch der Opfertiere noch am
gleichen Tag zu servieren. Cevdet hatte damals behauptet, sein Unwohlsein sei
nicht auf den Likör, sondern auf das Fleisch zurückzuführen, und da er noch
mehr Unerquickliches geäußert hatte, war Nigân am darauffolgenden Tag allein zu
ihrem Vater gefahren und hatte sich in den Armen ihrer Schwestern Türkân und
,Sükran gehörig ausgeweint. Mittlerweile war Nigân froh, dass sie nicht mehr
das frisch geschlachtete Fleisch servierten, das laut Cevdet »widerlich roch«
und einem schwer im Magen lag. Sie nahm die beiden Servierlöffel zur Hand und
sah ihre Schwiegertöchter an, die ihr direkt gegenübersaßen. Nach ein paar
Sekunden genussvollen Überlegens reichte sie die Löffel Perihan, der jüngeren
der beiden Frauen.
»Heute servierst du uns mal!«
Das war ein besonderer Augenblick.
Perihan sah errötend auf die Löffel in ihrer Hand, während Cevdet wie gewohnt
seinen Teller als erster hinschob und alle anderen aus Vorfreude auf das Essen
strahlende Mienen aufsetzten. Nigân war gerührt. »Hübsch ist sie!« dachte sie
beim Anblick Perihans. »Wie sie die Haare zu einem kunstvollen Dutt formt,
zeugt von Geschmack. Ein dünnes Stimmchen hat sie, aber das macht ja nichts.
Refık scheint mit seinem Leben zufrieden zu sein. Ich war es damals auch,
als ich mit Cevdet hier einzog. Und zum Glück bin ich es ja heute noch. In
einem neuen Haus mit neuer Einrichtung zu leben war wunderschön.«
Cevdet brummte: »Gibt’s denn keinen
Salat?«
»Ach, den haben sie vergessen!«
dachte Nigân. »Und ich habe es auch nicht gemerkt!« Sie rief sogleich nach dem
Dienstmädchen. Dann blickte sie zu ihrem Mann hinüber und stellte verärgert
fest, dass sein Teller wieder einmal schier überquoll. »Dann wird er ganz
schläfrig, und hinterher ist ihm unwohl!« Sie sah Cevdet zu, wie er beim Essen
sein ergrautes Haupt zum Teller vorbeugte, sah seine feine, lange Nase und
wandte sich schließlich, angenehm berührt von diesem Anblick, ihrem eigenen
Essen zu. Bald hörte sie den dozierenden Ton ihres älteren Sohns Osman.
»Dass in Europa ein Krieg ausbricht
…«
Osman sprach mit seinem Bruder, und
Nigân sah ihnen eine Weile dabei zu. Wie immer, wenn von Krieg die Rede war,
fühlte sie sich ungeheuer einsam. Alle paar Jahre musste
es immer zu einem Krieg kommen, der zwischen der Welt der Männer und ihrer
eigenen einen unüberwindlichen Trennstrich zog. Und noch dazu verliefen die
Kriege immer gleich, genauso wie jene Männergespräche. »Was soll dieses Gerede?
Können sie nicht über etwas anderes sprechen?« dachte sie.
Die beiden Söhne diskutierten
unverdrossen weiter. Osman gab sich, als wüsste er, dass seine Worte niemanden
so recht interessierten, ja nicht einmal ihn selbst. Sowohl sein Ton als auch
seine Blicke schienen zu sagen: »Tja, was soll man machen, hin und wieder ist
so was einfach nötig!« Refık, wie sein Bruder in Anzug und Krawatte, warf
nur ab und an ein paar Worte ein, machte auch mal einen kleinen Scherz, das
alles mit einer Miene, als wollte er sich für diese Unterhaltung bei den
anderen entschuldigen. Aber es war eben ein ernstes Männergespräch. Nigân kam
es so vor, als könnte bei solchen Diskussionen weder sie selbst noch
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