Cevdet und seine Soehne
und
sehnte sich nach einer Zigarette; sein Kaffee würde gleich kommen. Es war, als
hätte er die Augen geschlossen und den anderen seinen Körper überlassen, damit
sie ihn andächtig betrachten und um ihn herum leben konnten. »Sie gehen umher,
gähnen, reden, essen Süßes und schielen dabei zu mir in meinem Sessel herüber
… Bald werden sie schlafen und zu ihren Verwandtenbesuchen aufbrechen …
Ach, ich will morgen nicht mit Nigân in diesen alten Paşakonak! Und diese Paşasöhne will ich erst recht nicht sehen! Aber daran möchte ich jetzt gar
nicht denken! Ich achte lieber auf all den Trubel um mich herum, auf die Düfte
und Geräusche …«
»Der Kaffee! Gnädiger Herr, der
Kaffee!«
War er also doch eingenickt! Schnell
öffnete er die Augen und war kurz leicht geblendet. Vor ihm stand Emine und
stellte die Kaffeetasse auf dem Tischchen neben seinem Sessel ab. »Jetzt rauche
ich meine Zigarette!« Das Päckchen Yaka und das Feuerzeug lagen noch vom
Morgen her auf dem Tischchen. Die Zigarette nach dem Mittagessen war für ihn
der Höhepunkt des Tages.
Mehr als drei Zigaretten am Tag zu
rauchen war ihm vom Hausarzt Dr. İzak
verboten worden. Cevdet hatte ein halbes Jahr zuvor eine leichte Herzattacke
erlitten, die sein Arzt als ernsthafte Angelegenheit bezeichnet hatte, während
er selbst geneigt war, der Sache nicht allzuviel Bedeutung beizumessen. Erst
sollte ihm das Rauchen schon ganz untersagt werden, doch auf sein inständiges
Bitten hin hatte der Arzt ihm schließlich drei Zigaretten pro Tag genehmigt. So
rauchte er nun jeweils eine Zigarette nach dem Frühstück, dem Mittag- und dem
Abendessen. Nigân zählte die Zigaretten in seinem Päckchen nach. Anfangs hatte
Cevdet es noch mit Schummeleien versucht, doch Nigân war ihm auf die Schliche
gekommen und hatte ihm weinend eine Szene gemacht. So rauchte er also nun die
zweite Zigarette des Tages. »Was nützt es, dass ich nur noch so wenig rauche?
Mir fällt das Treppensteigen noch immer gleich schwer, ich bekomme immer noch
manchmal keine Luft mehr und habe auch immer noch diese Ängste.« Er seufzte
wieder wegen des Mittagsschlafs, um den er gebracht wurde.
Als er mit seiner Zigarette fertig
war, hörte er die große Wanduhr im Obergeschoß zweimal schlagen. Nigân sagte,
Fuat sei schon überfällig.
»Die kommen bestimmt gleich!«
erwiderte Cevdet.
Dann war es eine Weile still.
Draußen fuhr eine Trambahn vorbei. Refık faltete seine Zeitung zusammen
und ging mit seiner Frau nach oben. Emine räumte die leeren Kaffeetassen ab.
Nigân sah zum Fenster hinaus. Cevdet fühlte, dass ihm wieder die Augen
zufielen. Da ertönte die Glocke draußen am Gartentor.
Nigân stand auf. »Sie sind da!«
Cevdet erhob sich schwerfällig und
folgte, jeden seiner Schritte abwägend, seiner Frau in die Eingangshalle
hinunter. Als Nigân schon die Tür öffnete, sah sich Cevdet in dem mannshohen
gerahmten Spiegel noch einmal an.
Sein Körper erschien ihm wie ein altbekannte,
liebliche Melodie: Die Krawatte war verrutscht, das Hemd hing ihm aus der Hose,
das Haar war zerzaust, Gesicht und Jackett verknautscht. Er strich sich mit
seinen großen Händen durch die Haare. Trotz seiner achtundsechzig Jahre
glänzten seine Augen noch. »Ein wenig krumm bin ich geworden, irgendwie
kleiner, aber das ist auch schon alles!« Auf der Straße erntete er nur
freundliche Blicke. Das war ihm das wichtigste: Er war kein hässlicher,
abstoßender Alter. Aufgemuntert ging er zur Tür. Er sah Fuat mit Frau und Sohn
auf sich zukommen und begrüßte sie überschwenglich.
»Ist das schön, dass ihr da seid!«
Fuat und er umarmten sich. Leyla drückte er die Hand, während er dem jungen
Remzi, der ihm die Hand küsste, über den Kopf fuhr. Als er die dichten Haare
des Jungen spürte, seufzte er innerlich auf: Er war doch alt geworden.
Allzulange dauerte die
Begrüßungszeremonie nicht. Die beiden Frauen umarmten sich und küssten sich
dann auf die Wange, wobei sie den Oberkörper leicht vorbeugten. Cevdet hatte sich
an diese Begrüßungsküsse noch immer nicht gewöhnt. Die Frauen aber anscheinend
auch nicht. Nach dem Küssen sahen sie sich an, als wollten sie sagen: »So, das
haben wir hinter uns gebracht. Wie wir dabei wohl ausgesehen haben?«
Sie wechselten in den Salon und
begannen sich angeregt zu unterhalten. Cevdet sah Fuat liebevoll an und
murmelte: »Schon wieder ein Bayram! Wie die Zeit vergeht!« Nigân und Leyla
sprachen über das kalte Wetter. Als Leyla erzählte, sie
Weitere Kostenlose Bücher