Cevdet und seine Soehne
…«
Sait trug einen dünnen, gepflegten
Oberlippenbart, der sich beim Erzählen zugleich mit der Lippe auf und ab
bewegte. Ömer dachte: »So, gleich darf gelacht werden.«
Als Sait den Witz fertigerzählt
hatte, lachten alle wie auf Kommando los.
Darauf Atiye: »Erzähl doch den mit
dem Diener, der immer die Gläser durcheinanderbringt!«
Sait lachte auf und fing dann
sogleich an zu erzählen. Seine Frau ging dabei so richtig mit und vollführte
sogar die gleichen Bewegungen wie er. Der Speisewagen war noch immer bis auf
den letzten Platz gefüllt. An einem Tisch saßen vier ältere Herren und
prosteten sich lauthals lachend zu. Bei einem von ihnen, aus dessen
Westentasche eine glänzende Uhr herausschaute, verwickelte sich beim Lachen der
weiße Vollbart mit der Krawatte. An einem anderen Tisch küsste eine Frau mit
Hut lächelnd das schlafende Kind auf ihrem Schoß ab. »Ich habe früher auch viel
gelacht!« dachte Ömer. An der Ingenieurhochschule hatte er fortwährend Witze
gerissen. Zusammen mit Muhittin und Refık
hatte er Poker gespielt und sich über alles lustig gemacht. Aber jetzt dachte
er ungern daran zurück. Außerdem ließ die Wirkung des Alkohols bei ihm nach,
was seiner Stimmung abträglich war. So lauschte er wieder auf die Witze.
Gegen ein Uhr leerte sich der
Speisewagen allmählich. Einer der Kellner, die sich in dem Zug immer leicht
schwankend fortbewegten, kam auf sie zu und sagte zuvorkommend: »Meine
Herrschaften, wir schließen bald. Wir sind nicht mehr weit von Edirne entfernt.
Wenn Sie bitte zur Passkontrolle Ihr Abteil aufsuchen möchten!«
»Selbstverständlich, wir gehen
gleich«, erwiderte Sait.
Sie saßen aber noch eine Weile
schweigend da. Dann griffen die Frauen zu ihren Taschen, und Sait beglich die
Rechnung. Atiye sah zum Fenster hinaus. Ömer dachte: »Da sieht man es! Kaum
sind wir in der Türkei, werden wir schwermütig.«
Als sie aufstanden, fühlte er sich
plötzlich ganz einsam. »Vielleicht laden sie mich ja in ihr Abteil? Dann reden
wir dort weiter!« Er sah ihnen nach. »Was soll’s? Ich bin ein Eroberer! Ein
Rastignac … Vielleicht habe ich zuviel getrunken, aber der Alkohol tut mir –«
»Bis morgen früh!« rief Atiye ihm
noch zu. Sie brachte wohl am meisten Verständnis für ihn auf. Ömer sagte sich,
sein Ehrgeiz müsse stark genug sein, um ihm über solche wehmütigen Momente
hinwegzuhelfen.
Am nächsten Morgen sah er seine
Reisegenossen wieder, als der Zug in den Bahnhof Sirkeci einfuhr. Sie beugten
sich zum Abteilfenster hinaus und blickten aufgeregt nach links und rechts.
Ömer ging zu ihrem Abteil und verabschiedete sich von jedem mit Handschlag. Sie
tauschten noch ein paar Höflichkeiten aus, und Sait sagte väterlich: »Ich habe
gestern abend noch an Sie gedacht! Sie haben schon recht mit Ihrem Ehrgeiz.
Davon gibt es nicht genug in unserem Land!«
Ömer winkte ab, also wollte er
sagen: »Ach was, nehmen Sie doch mein Geschwätz nicht so ernst!« Die beiden
Frauen, die nach Angehörigen Ausschau hielten, lächelten über diese
Handbewegung. Sie trugen breitkrempige, ansprechende Hüte. Atiye machte von
Ömer schnell noch ein Foto. Dann sagte Ömer, er sei jetzt ganz aufgeregt über
seine Heimkehr, und verließ ihr Abteil.
Als er mit seinen Koffern dem Zoll
entgegenstrebte, sah er die drei noch einmal. Die Hüte der Frauen ragten vom
Zugfenster auf den Bahnsteig heraus wie reife Früchte. Atiye winkte dem jungen Mann,
den sie interessant fand, noch ein letztes Mal zu. Sait wiederholte, sie
müssten sich in Istanbul unbedingt einmal treffen. Als Ömer diese Worte durch
den Bahnsteiglärm hindurch nachhallten, merkte er erst, wie gerührt er war. Am
Zoll wurde er auf den kleinen Jungen aufmerksam, den er am Vorabend im
Matrosenanzug auf dem Foto gesehen hatte. Der Junge saß etwas kratzbürstig auf
dem Arm eines Kindermädchens und winkte vage zum Zug hin. Ömer dachte: »Ich
werde es schaffen!«
Beim Betreten des Zollgebäudes wurde
ihm erstmals so richtig bewusst, dass er wieder in der Türkei war. Es wurde ein
freudiges Gefühl in ihm wach, wie er es seit einer Ewigkeit nicht mehr
empfunden hatte; ja kaum erinnern konnte er sich an dergleichen. Er suchte nach
einem Beamten, dem er seine Koffer vorzeigen konnte. Schließlich stellte er
sich bei einem älteren Zollbeamten an. Nach einer Weile drängte sich ein
eleganter Mann in einem langen Mantel vor ihn. Der Beamte beschied ihnen, sie
warteten bei ihm umsonst, denn die Kontrolle finde bei
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