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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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doch wenigstens lernen
würden, dass man gemeinsam vom Tisch aufsteht!« Dass Cevdet nichts mehr
beizubringen war, wusste sie sehr gut, aber vielleicht war bei Refık noch
etwas zu wollen, der war immerhin erst sechsundzwanzig. Als Nigân auch Perihan
aufstehen sah, dachte sie: »Soll etwa ich als letzte hier sitzen bleiben?«
Geschmeidig stand sie von ihrem Stuhl auf und ging zu Cevdet, der schon in
seinem Sessel am Fenster saß, den Kopf zurückgelehnt, die Augen halb
geschlossen. »Ob er uns wohl einschläft? Bei dem, was er vertilgt hat, werden
ihm die Augen ganz schwer sein.« Wie sie ihn so gegen den Schlaf ankämpfen sah,
kamen zwar zärtliche Gefühle in ihr auf, doch eigentlich musste sie ihm böse
sein. »Er soll doch jetzt nicht schlafen! Nachher kommt Fuat mit seiner
Familie!« Das Feiertagsessen war vorbei. Sie hörte, wie das Geschirr aufgeräumt
wurde. »Den Tee trinken wir dann aus den blaugeblümten Tassen!«

3
  AM NACHMITTAG
    Cevdet sah Nigâns vorwurfsvollen Blick. Als würde er
mit ihr sprechen, dachte er: »Schatz, ich schlafe nicht, ich habe mich nur
hingesetzt … Ich mache die Augen zu und sitze ein bisschen da, ohne mich zu
bewegen. Na ja, vielleicht nicke ich auch ein wenig ein …« Sich nach so einem
Festtagsessen in seinem Lieblingssessel auszustrecken, war für ihn der schönste
Moment, doch dass er sich nicht zu einem ordentlichen Mittagsschlaf hinlegen
durfte, empfand er als Manko. »Aber jetzt rauche ich bald«, tröstete er sich.
Er stellte sich eine der drei Zigaretten vor, die er am Tag rauchen durfte, und
hörte schon das Ratschen des Feuerzeugs. Dann merkte er, wie ihm die Augen
zufielen und er nur noch Geräusche, Düfte und Wärme wahrnahm.
    Vom Esstisch her, von der Küche, zu
der es ein paar enge Stufen hinabging, aus den anderen Zimmern, dem
Treppenhaus, dem Garten, den Bäumen und der Straße hörte er all die Geräusche,
die die Fenster erzittern und das Kristall in den Vitrinen erklingen ließen. Er
hörte, wie Nermin mit ihren Kindern sprach, wie Emines Pantoffeln über den
Boden schlurften, Nuri in der Küche den Wasserhahn auf- und zudrehte, Ayşe
sich aus dem Krug Wasser in ihr Glas goss, Refık raschelnd seine Zeitung
umblätterte und eine Trambahn schwerfällig heranfuhr. All diese vertrauten
Vibrationen wirkten einlullend. »Ich werde aber nicht schlafen!« dachte Cevdet.
»Jetzt kommt ja gleich Fuat! Mit dem lässt sich so gut über vergangene Zeiten
reden. Ach, die Vergangenheit … Die Geschichte dieses Hauses, in dem nun
fröhlich gelacht und geplaudert wird. Mir ist alles noch ganz präsent. Wie ich
damals das Haus gekauft habe, kurz nach dem Attentat auf den Sultan. Dann
unsere Heirat, bald darauf zum Glück der politische Wandel. Ich habe den Garten
nebenan hinzugekauft und im Krieg dann mit Zuckerhandel so viel verdient, dass
ich ordentliche Verhältnisse schaffen konnte. Die Firma wurde immer größer, und
als dann Osman heiraten wollte, haben wir das Haus noch aufgestockt. Das war vier Jahre nach
Gründung der Republik. Dann sind die Enkel gekommen. Vor vier Jahren haben wir
den Ofen angeschafft, der gerade mit Holz befeuert wird. Ich weiß von allem
noch genau das Datum, weil es ja mein Werk ist. Aber wann ist noch mal die
Trambahn nach Maçka in
Betrieb gegangen? Ah, die kristallene Zuckerdose, die gerade aufging, stammt
aus Nigâns Aussteuer. Was reden sie da?«
    »Rauf jetzt mit euch, legt euch
hin!« rief Nermin.
    »Wir sollten doch noch Süßigkeiten
kriegen!« Das war einer der Enkel.
    »Der gnädige Herr trinkt jetzt
seinen Kaffee. Möchten Sie auch einen, Refık?« sagte Emine.
    Nigân flüsterte: »Pst, seid ein
wenig leiser!«
    Jemand ging auf Zehenspitzen vorbei.
    »Gehst du gleich aufs Zimmer
hinauf?« fragte Perihan.
    »Da droben wird aber nicht gespielt.
Ihr sollt sofort schlafen!« rief Osman.
    »Das Hausmeisterehepaar ist da und
wartet«, meldete Nuri.
    »Wenn Onkel Fuat kommt, darfst du wieder runter. Aber
jetzt schlaf erst mal schön!«
    »Zu Tante Mebrure gehen wir
übermorgen. Morgen besuchen wir zuerst Tante Sükran.«
    »Genau!« dachte Cevdet. »Genau dafür
war das alles. Für diese traute Wärme, den bullernden Ofen, die
ohrenschmeichelnden Geräusche, für dieses Haus, das funktioniert wie ein
Uhrwerk.« Es war alles behaglich und verlockend wie der Schlaf. Mit einemmal
wurde es verdächtig ruhig. »Jetzt sind sie wohl auf mich aufmerksam geworden!«
Ihm war klar, dass an Schlaf nicht zu denken war. Er hatte zuviel gegessen

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