Cevdet und seine Soehne
auch
irgend jemand anders wirklich das sagen, was er auf dem Herzen hatte. Die
Männer wurden mit einemmal noch männlicher, während die Frauen zur Dekoration
verkamen. »Dabei bin ich imstande zu sehen und zu denken!« Plötzlich fiel
Cevdet in das Gespräch ein.
»Sag mal, Nermin, was meinst du zu
der Sache?«
Die erste Essensgier hatte er also hinter
sich. Liebend gerne neckte er seine Schwiegertöchter. Osmans Frau sah sich
hilfesuchend nach ihrem Mann um und stammelte dann erste Worte, aber Cevdet
hörte ihr gar nicht zu und sagte: »Ausgezeichnet, das Fleisch, bravo!«
Nermin verstummte auf der Stelle.
Peinliches Schweigen.
»Ja, es ist gut geworden«, sagte
Nigân.
Allmählich setzten das
Besteckklappern und das fröhliche Plaudern wieder ein. Es wurden die üblichen
Feiertagsgespräche geführt, und Nigân saß blinzelnd da und genoss die festliche
Stimmung. »Jetzt hat schon wieder dieses Blinzeln angefangen!«
Als der zweite Gang, Bohnen in
Olivenöl, aufgetragen wurde, kam die Rede auf die jüngsten Entwicklungen in
Deutschland, auf Refıks Freund Ömer, der gerade aus Europa zurückgekehrt
war, auf eine neue Konditorei in Osmanbey und auf die geplante Trambahnlinie,
die von Maçka zum
Galatatunnel führen sollte. Nigân blickte auf den Teller ihrer Tochter
Ayşe: Das Mädchen hatte wieder so gut wie nichts angerührt.
Verärgert sagte Nigân: »Das wird
alles aufgegessen!«
»Aber Mama! Das ist zu fett!«
»An dem Fleisch ist kein bisschen
Fett dran! Schau, wie es die anderen alle essen!«
Dann zog Nigân den Teller der neben
ihr sitzenden Tochter zu sich herüber, kratzte von den Fleischstücken ein wenig
Fett ab und häufte den über den Teller verstreuten Reis in der Mitte zusammen.
»Immer das gleiche!« dachte sie. »Die muss mir doch jedesmal die Laune
verderben!« Mürrisch schob sie ihrer Tochter den Teller wieder hin. »Man bringt
sie auf die Welt, umsorgt sie sechzehn Jahre lang, tut alles Erdenkliche, und
dann hat man so ein kränkliches, verbiestertes Wesen vor sich!«
»Glaubst du etwa, so ein Fleisch
bekommt jeder vorgesetzt?« fragte sie vorwurfsvoll.
»Aber Schatz, lass sie doch machen, was
sie will. Noch dazu, wo heute ein Feiertag ist«, mischte sich Cevdet ein.
Er war ein Vater, der abends, wenn
er nach Hause kam, seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn gab, also ein verantwortungsloser
Mann, der sich bei seiner Tochter einzuschmeicheln verstand, aber nicht daran
dachte, was er damit anrichtete! Nigân verzog nur kurz das Gesicht, und jeder
wusste, was damit gemeint war: »Ich erziehe sie, und du verziehst sie!« Nigân dachte:
»Wäre ich nicht gewesen, hätte sie nicht mal Klavierspielen gelernt. Die Bohnen
soll ruhig ebenfalls Perihan servieren!«
Während sie das Bohnengericht
verzehrten, wurde über den Schnee gesprochen, der sich schon seit zwei Tagen im
Garten hielt und auf den es in der Nacht noch einmal draufgeschneit hatte, über
das ganz andere Wetter, das ein Jahr zuvor Anfang März geherrscht hatte, und
über die Erkältung, die Cevdet sich beim Morgengebet in der
Teşvikiyemoschee eingefangen hatte. Nigân sah, dass Ayşe immer noch
nicht ganz aufgegessen hatte, und sie dachte: »Ich habe wieder nicht gesagt,
was ich eigentlich sagen wollte.« Doch was das war, wusste sie selbst nicht
genau. Es hatte irgend etwas mit Fröhlichkeit zu tun, aber fröhlich waren an so
einem Feiertag ohnehin alle von selbst. »Mir geht es wie meiner
Mutter selig!« Die hatte oft in ihrem Sessel in dem Konak in Teşvikiye
gesessen und blinzelnd gesagt: »Ach Nigân, ich würde so gerne etwas essen, aber
ich weiß einfach nicht, was!«
Das Dienstmädchen Emine brachte nun
ein Orangendessert, eine Kreation des Kochs. »Und schon geht das Essen wieder
zu Ende!« dachte Nigân. Dieses Feiertagsessen, auf das sie so lange gewartet
hatte. Und auch dieser Tag würde zu Ende gehen, dieser Bayram, und dann würde
sie wieder auf andere Tage warten. Und auch die voller Wehmut vorübergehen
sehen. So floss das Leben dahin und glänzte nur manchmal kurz auf. Das
Orangendessert war wirklich sehr gelungen und die Sahne darauf ganz frisch,
aber auch das würde sich höchstens bis zum Abendessen so halten. Nigân dachte
wieder daran, all das Geschirr zu benutzen, das in den Truhen und Buffets
ruhte, dann genoss sie ihr Dessert.
Wie stets erhob sich Cevdet als
erster vom Tisch. Als gleich darauf Refık aufstand, sah Nigân auf den letzten
Bissen Dessert in ihrem Teller und dachte: »Wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher