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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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seinem Kollegen
nebenan statt. Drängelnd stellten sich die Leute dort an. Aus einem Raum heraus
brüllte jemand nach Leibeskräften. Ein in der Schlange wartender Mann mit Hut
klagte, man werde hier reinweg schikaniert. Als Ömer an der Reihe war, trat ein
älterer Kollege zu dem Zollbeamten und sagte: »Lass den jungen Mann durch, bei
dem ist bestimmt alles in Ordnung!«
    Der Zollbeamte brummte: »Jaja, schon
gut!« und winkte Ömer durch. Ein Träger schnappte sich Ömers Koffer, und schon
standen sie draußen in Sirkeci.
    An der Straßenecke stiegen aus einer
Trambahn Fahrgäste aus. Dahinter wartete ein Pferdewagen; der Kutscher darauf
rauchte. Vier Träger schleppten mit ihren Schulterhölzern ein Fass in Richtung Babıali hinauf. Ein
Straßenfeger unterhielt sich mit einem Bettler, der auf der Gehsteigkante saß.
Ein eleganter Herr mit Schirm ging nach Karaköy hinüber. Vor einem Lokal wurden
aus einem Pferdewagen große Kanister ausgeladen. In einem Taxi las der Fahrer
Zeitung. Eine Frau stand mit einem Kind an der Hand vor der Scheibe eines
Schuhgeschäfts. Über allem wölbte sich ein heller, federleichter Himmel. Die
Luft war feucht.
    Der Träger wandte sich zu dem
sinnierend dastehenden Ömer um und fragte: »Wohin?«
    »Nach Karaköy.«
    Er wollte zu Fuß über die Brücke
gehen, und so folgten sie dem eleganten Herrn mit dem Schirm. »Ich bin ein
Eroberer!« dachte Ömer. Er fühlte sich leicht: Zum erstenmal seit Jahren
drückte der Himmel nicht auf ihn herab.

2
  DAS FEIERTAGSESSEN
    Das Kinn auf die Hände gestützt, sah Nigân auf
die bestickte Tischdecke und den Porzellanteller vor sich. »Gut, dass ich das
Service mit dem Goldrand habe auflegen lassen! Wie lange das schon unbenutzt im
Buffet stand … Den Nachmittagstee trinken wir dann aus den blaugeblümten Tassen,
die meine Großmutter zu meiner Aussteuer beigetragen hat. Leider sind zwei
davon schon entzweigegangen. Warum lasse ich eigentlich das Silberzeug nie
polieren? Wenn man das nicht an einem Tag wie heute benutzt, wann denn sonst?
Man sollte alles viel öfter in Gebrauch nehmen!« Die bestickte Tischdecke hatte
sie auch erst zum letzten Opferfest hervorgeholt. Da sie ebenfalls Teil der
Aussteuer war, wurde sie also seit dreißig Jahren sorgfältig aufgehoben. Nigân
verspürte eine seltsame Lust, alles, was in Schränken, Kisten, Truhen und
Buffets gehortet wurde, schnell zu benutzen und zu verbrauchen. »Mir ist, als
möchte ich miterleben, dass nicht nur alles verwendet wird, sondern die
Tischdecken befleckt werden und zerreißen, Tassen und Teller zerbrechen und Gabeln
und Messer verlorengehen! Vor dreißig Jahren haben wir geheiratet; das heißt,
dass ich jetzt mit Cevdet schon zum sechzigstenmal einen Bayram feiere! Und
alle sind da: mein Mann, meine zwei tollen Söhne, meine Tochter, meine lieben
Schwiegertöchter und die zwei Enkel.«
    Sie saßen zusammen in dem Haus in
Nişantaşı, dessen Fenster auf die Lindenbäume und den berühmten
Gedenkstein hinausgingen, und warteten darauf, dass der Koch das Mittagessen
hereinbrachte. Nigân schätzte das warme Licht des Kronleuchters, den sie
angemacht hatten, da es draußen düster und regnerisch war. Gleich würde, wie
bei jedem Bayram, der Koch Nuri die große Servierplatte ins Esszimmer
hereintragen und dabei auf Zehenspitzen gehen. Jenes Detail gehörte zum
Zeremoniell und wurde mit der gleichen Spannung erwartet wie das Essen selbst.
    »Habt ihr gesehen? Eines von den
Tieren hatte einen riesigen Kiesel im Bauch. So groß!« sagte Refık, der
jüngere von Nigâns Söhnen. Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger
an, wie groß der Kiesel war, und malte dazu noch mit dem Finger einen Kreis auf
das Tischtuch.
    »Refık ist immer auf alles
neugierig. Das hat er von mir!« dachte Nigân. Dann sah sie zu Osman, dem
älteren, der seinem Bruder Antwort gab.
    »Im Widder war der drin, oder?«
    Gemeint waren die Opfertiere, die
man im Garten hinter dem Haus geschlachtet hatte. Dass Nigân zu jedem Opferfest
einen Widder und zwei Lämmer schlachten ließ, verschaffte ihr ein
Überlegenheitsgefühl, das sich auch jetzt wieder in heftigem Augenzwinkern ausdrückte.
    »Na, wo bleibt denn das Essen?«
Cevdet war ungeduldig wie eh und je.
    Als Nigân sah, wie ihr Mann neben
ihr mit seiner altersfleckigen Hand die Gabel umfasste, dachte sie verärgert:
»Gleich isst er wieder den Salat aus der Schüssel!« Dann sah sie zu ihrem
sechsjährigen Enkel Cemil hinüber, der seiner zwei Jahre älteren

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