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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Gesicht ließ sich etwas ganz
anderes ablesen, nämlich: »Das würde mich jetzt auch interessieren, was du so
denkst!«
    »An mich habe ich gedacht!« sagte
Ömer.
    »Hört, hört!« rief Atiye aus und
warf keck den Kopf zurück. »Und was, wenn ich fragen darf?«
    »Dass ich so vieles machen will! So
vieles vorhabe!«
    »Ja natürlich. So jung, wie Sie
sind!« erwiderte Sait.
    »Nein, so meine ich es nicht. Ich will
was anderes damit sagen. Ich denke, dass ich viel unternehmen will, aber das
sollen … irgendwie ganz neue Dinge sein!« Er spürte, wie er errötete.
    »Ich denke, ich weiß, was Sie
meinen«, sagte Sait.
    »Ich kann es irgendwie nicht richtig
ausdrücken!«
    »Versuchen Sie es trotzdem!«
versetzte Atiye in der gleichen herausfordernden Art wie schon zuvor.
    Nun sah auch Saits Schwester Güler
von ihrer Speisekarte auf, in der sie, seit die Familie an dem Tisch Platz
genommen hatte, so vertieft las wie in einem Buch.
    Ömer sagte: »Sind Sie … sind Sie
eigentlich ehrgeizig, Sait?«
    »Wie bitte?« erwiderte Sait
lächelnd, zog aber dann die Brauen zusammen. Er wandte sich seiner Frau zu, als
müsste er sich vergewissern: »Was meinst du, bin ich ehrgeizig?«
    Atiye beeilte sich zu versichern:
»Nein, nein, so was ist ihm ganz fremd. Er ist wie ein Lämmchen.« Am liebsten
hätte sie losgelacht, aber beim Anblick von Ömers Gesichtausdruck erschrak sie
ein wenig. Sie war eine aufgeklärte Frau, fürchtete sich aber, irgendwelche
Sünden zu begehen.
    »Zum Glück bin ich nicht ehrgeizig!«
sagte Sait schließlich. »Meine kleinen Freuden und Sorgen sind mir genug!«
    Da lachten sie alle.
    »Ich dagegen bin zum Glück
ehrgeizig!« sagte Ömer dann. Er merkte, wie Güler ihn dabei ansah. »Und kleine
Freuden und Sorgen sind mir eben nicht genug!« Entschuldigend fügte er hinzu:
»Ich möchte so vieles unternehmen. Mich nicht mit wenigem begnügen. Ich weiß
nicht, ob Sie wissen, was ich meine. Mein Ehrgeiz bezieht sich nicht auf etwas
Bestimmtes, sondern ganz einfach auf alles! Ich will alles erobern, was sich
mir bietet, das ganze Leben!«
    »Tja ja, die Jugend …« murmelte
Atiye.
    »Was zum Beispiel möchten Sie
erobern?« hakte Sait nach.
    »Alles.« Er griff zum Käseteller; nicht um davon zu
essen, sondern weil Sait ihm den Teller hinhielt.
    »Schaut mal«, sagte Sait, »diesen
Käse hier essen die Franzosen vor dem Obst. Er riecht ein wenig streng, was?
Aber wenn man sich mal daran gewöhnt hat …«
    »Aber Sait, Ömer erzählt uns doch
gerade was …« unterbrach ihn Atiye.
    »Schon gut, wir hören ja zu.«
    Ömer fühlte aller Augen auf sich
gerichtet und sagte: »Ich habe wohl zuviel getrunken!«
    »Aber ich bitte Sie! Sie waren so
schön am Erzählen!« wehrte Atiye ab.
    »Wissen Sie, für Unterhaltsames hat
meine Frau was übrig«, versetzte Sait. Und da ihm schien, der Pfeil habe nicht
so recht getroffen, fügte er sogleich hinzu: »Sie ist neugierig auf amüsante
und spektakuläre Geschichten. Erzählen Sie also ruhig!«
    »Ich bin auch neugierig«, sagte Ömer
aufgeregt. »Ich bin neugierig auf alles und will auch gleich alles. Sie haben
mich gefragt, was ich denn erobern will. Nun, schöne Frauen, Geld, Ruhm. Na ja,
Sie sehen schon. Und ich will das alles unbedingt, auch wenn ich dabei jemandem
weh tun muss.«
    Sait wandte sich in beschützender
Geste zu seiner Frau und seiner Schwester: »Passt auf, die Fleischsauce ist
ziemlich scharf. Das Gewürz kommt mir bekannt vor …«
    Ömer wurde ganz rot. Atiye sagte:
»Ich glaube, ich habe Sie jetzt begriffen: Sie sind ein moderner Rastignac. Sie
wissen schon, der Held aus Vater Goriot von Balzac. So einer. Ein
Eroberer … Ja, das ist wohl der richtige Ausdruck dafür.«
    »Ihr Gesicht ist ja ganz rot«, sagte
Sait. »Die drehen die Heizung viel zu sehr auf. Soll ich noch eine Flasche
bestellen?« Er lächelte nun wieder auf seine väterliche, joviale Art.
    »Ja, gerne!«
    Atiye, ganz stolz auf ihre
Trouvaille, wiederholte: »Genau, ein Eroberer sind Sie, ein Rastignac!«
    »Ich ziehe den ersten Begriff vor,
wenn Sie erlauben. Ein Eroberer bin ich!«
    »Herrlich!« krähte Atiye aufgeregt.
»Machen wir doch ein Foto! Geht das hier, Sait?«
    »Wohl kaum bei dem Licht. Hast du
den Apparat denn dabei?«
    Güler sagte unvermittelt zu Ömer: »Eigentlich wirken
Sie gar nicht wie ein Türke!«
    Sait sagte: »So, lassen wir das
Thema! Ich erzähle euch jetzt einen Witz. Treffen im Wald eine Schildkröte und
ein Fuchs aufeinander. Sagt der Fuchs

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