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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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setz dich und erzähl mal! Was
hast du im Ausland so getrieben? Wie geht es zu dort? Und was wirst du jetzt machen?«
    »Ich habe vor, an der Eisenbahnlinie
Sivas-Erzurum zu arbeiten.«
    »Ah, in Sivas, so weit weg!« Cevdet
nickte anerkennend. »Bravo! Also, wie ist es dir in Europa ergangen? Erzähl
doch mal!«
    Daraufhin begann Ömer zu erzählen,
was er studiert, wo er gewohnt hatte und wie das Alltagsleben dort war, aber
Cevdet merkte schon bald, dass er ihm gar nicht richtig zuhörte, denn was ihn
interessierte, war nicht das Berichtete an sich, sondern die Welle von Jugend
und Schwung, die mit dem jungen Mann ins Zimmer schwappte. Den anderen schien
es ähnlich zu gehen, auch sie achteten weniger auf die Worte des munter und
intelligent wirkenden Mannes als auf die geheimnisvolle Aura, die er
verströmte. Sie gedachten dieser Aura auf die Spur zu kommen, um sie sich auch
selbst zunutze zu machen. Cevdet dachte: »Jugend ist doch was anderes …
Vorhin hat er mir die Hand geküsst, aber ohne mich dabei so anzusehen wie die
anderen, als ob ich ein zerbrechlicher Gegenstand wäre, auf den man furchtbar
aufpassen muss … Wo hat er sich das nur angeeignet? In Europa?« Er seufzte
tief.
    Er selbst war nur einmal nach Europa
gekommen, zusammen mit Nigân, im zweiten Jahr ihrer Ehe. Sie hatten eine
Zeitlang in Berlin verbracht, waren aber später nie wieder dorthin gekommen.
Wenngleich Cevdet sein ganzes Geschäftsleben über in ständigem Kontakt mit
Europa stand, erachtete er eine Reise dorthin als unnütze Ausgabe. Wenn er
schon Geld ausgab, dann doch lieber für etwas Bleibendes wie das Sommerhaus auf
Heybeliada oder für die Firma. Das war sein Grundsatz gewesen, aber nun geriet
dieser zum erstenmal ins Wanken. Doch allzusehr beschäftigte ihn das nicht,
denn Erinnerungsfetzen und auch neue Gedanken lösten beim ihm kaum mehr etwas
anderes aus als noch größere Ermattung. »Schlafen möchte ich!« Er hörte Ömer
dann doch wieder zu, aber der hatte nichts Bahnbrechendes mehr zu berichten,
sondern erzählte nur noch von seiner Tante und seinem Onkel und von Sait, den
er im Zug getroffen habe, woraufhin Nigân bestätigte, ihre Hochzeit habe in dessen
Konak stattgefunden. Es war, als hätten die Frauen begriffen, dass die
geheimnisvolle Aura nicht zu ergründen war, so dass sie diese lieber abtöteten,
indem sie Ömer möglichst banale Fragen stellten und ihn damit auf ihr Niveau
herabzogen.
    Als Tee nachgeschenkt wurde, sagte
Refık, er gehe jetzt mit Ömer hinauf in sein Arbeitszimmer. Cevdet war den
beiden böse, weil sie ihn allein ließen und den Schwung, der ins Zimmer
geströmt war, mit sich fortnahmen. Er sah Ömer hinterher. »Was der wohl von mir
gehalten hat?« Die Wanduhr schlug sechs, und Cevdet fühlte sich gleich noch
müder. Er war früh aufgestanden, war wie schon damals in Akhisar zum
Feiertagsgebet in die Teşvikiyemoschee gegangen, hatte dort gefroren, dann am späten
Vormittag Likör getrunken, schließlich dem Mittagessen zu sehr zugesprochen,
nicht schlafen dürfen, sich am Gespräch kaum beteiligt, sich selbst und den
anderen zugehört. Es war ein Feiertagsnachmittag, dem es an nichts fehlte. Es
war höchstens etwas zuviel daran, nämlich ein Überdruss, der an den Menschen
klebte wie schwüle Luft. »Jetzt möchte ich nichts anderes als schlafen!« Mit
heruntergezogenem Kinn, aber ohne die Lippen zu öffnen, gähnte er ausgiebig,
bis ihm Tränen in die Augen traten.

4
  ALTE FREUNDE
    Oben im Arbeitszimmer sah Ömer sich
eingehend um, als ob er vier Jahre zuvor dort etwas vergessen hätte.
    »Na, was sind so deine Eindrücke?«
fragte Refık.
    »Deinen Vater habe ich neulich in
der Firma gar nicht gesehen, erst jetzt wieder. Er ist ganz schön alt
geworden.«
    »Ja, er hat sich sehr verändert in
den letzten Jahren.«
    »Vor vier Jahren war er noch das
blühende Leben!« sagte Ömer. Er krümmte sich nach vorne. »Jetzt ist er so
geworden. Und er spricht auch ganz schwerfällig.«
    »Ja, schlimm.«
    »Tut mir wirklich leid für ihn«,
sagte Ömer. Er ging auf den verglasten Bücherschrank zu. »Bücher über Bücher
…« Er legte den Kopf schief und las ein paar Titel. »Hast du das alles
gelesen?«
    »Ich kauf die immer bloß und lese
sie dann nicht!« sagte Refık lachend. »Ich nehme es mir immer wieder vor,
aber nie wird was daraus. Willst du eine Zigarette?«
    »Das kommt daher, dass du geheiratet
hast!«
    Um von dem Thema abzulenken, sagte
Refık: »Du musst das Glas von der

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