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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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da waren.«
    »Das holen wir beim Hinausgehen
nach«, schlug Ömer vor.
    Wieder verstummten sie und lauschten auf das lebhafte
Treiben unten.
    »Also, worüber habt ihr vorher
geredet?« fragte Muhittin schließlich.
    »Ich von meinen Gedanken und
Plänen«, sagte Ömer, »und er von der Ehe. Oder vielmehr –«
    »Genau, solches Zeug halt«,
unterbrach ihn Refık und setzte dabei eine betont fröhliche Miene auf.
    Muhittin deutete auf Refık und
sagte: »Er ist ganz brav geworden, seit er verheiratet ist!«
    »Dabei war er vorher schon so brav!«
grinste Ömer.
    »Genau! Viel zu brav sogar!«
    Etwas schuldbewusst stimmte
Refık in das Gelächter der beiden ein. Danach erzählte Muhittin von einem
ehemaligen Kommilitonen, den er auf der Straße getroffen hatte und der nur auf
der Welt zu sein schien, um von anderen verspottet zu werden. Beim Aufwärmen
alter Geschichten aus ihrer Studienzeit kamen sie in Fahrt.
    Schließlich griff Ömer zu der
Zeitung, die Muhittin zuvor durchgeblättert hatte. »Hört euch das an: In den
gestrigen Abendstunden stieß der Kraftwagen des Rechtsanwalts Cenap Sorar am
Taksimplatz mit einer Trambahn zusammen. Es kam zu leichtem Sachschaden; Personen wurden nicht verletzt.« Er
hielt den anderen die Zeitung hin. »Das ist typisch Türkei! In einer englischen
Zeitung würde eine solche Meldung –«
    »Ach, gehörst du jetzt auch schon zu
denen, für die die Türkei nur Provinz ist?« frage Muhittin. »Das steht nur in
der Zeitung, weil sich in letzter Zeit die Trambahnunfälle gehäuft haben!«
    »Nein, für den ist die Türkei nicht Provinz,
sondern jungfräulicher Boden, der erobert werden will!« rief Refık.
    »Na, wenn er sich da mal nicht
täuscht!«
    »Von wegen! Was redet ihr da!«
murmelte Ömer. »Los, gehen wir jetzt. Du wolltest doch weg, oder?«
    Auf der Treppe begegneten sie Perihan.
Refık fiel auf, dass sie errötete und auch seine Freunde ganz verlegen
wurden.
    Fuat und seine Familie waren schon
gegangen. Cevdet, der noch immer in seinem Sessel saß, war hocherfreut über den
Anblick der jungen Leute und nötigte sie zum Platznehmen.
    »Na, wo geht’s denn hin? Wollt euch
wohl amüsieren, was?«
    »Die gehen aus, aber ich bleibe zu Hause«, sagte
Refık.
    »Selbstverständlich bleibst du hier, du bist ja auch verheiratet. Aber wo wollt ihr zwei hin? Seid ihr
manchmal in Beyoğlu?«
    »Ich schon ab und zu«, erwiderte Muhittin.
    »Ertappt! Treib es aber nicht zu
weit. Ich selber bin als junger Mensch nie dem Amüsement nachgerannt, und
manchmal sage ich mir, ich habe da was verpasst, aber na ja, Familie und Arbeit
gehen nun mal vor. Wo arbeitest du gleich wieder?«
    »Bei einer Baufirma.«
    »Recht so!« Er wandte sich Ömer zu.
»Du solltest dich auch bald nach etwas umsehen. Wir sind hier nämlich nicht in
Europa. Hier weht ein anderer Wind.«
    »Das ist mir schon bewusst«, sagte Ömer.
Er stand auf und griff nach Cevdets Hand, um sie zu küssen.
    »Ist das die Möglichkeit, die machen
sich schon wieder aus dem Staub! Dabei könntet ihr noch einiges von uns lernen!
Einiges!«
    »So elegante Männer!« seufzte Nigân.
Und da das auf Muhittin nicht gerade zutraf, schob sie gleich nach: »Und so
jung! Ihr müsst unbedingt mal zum Essen kommen! Versprochen, ja?«
    Osman fiel wieder der alte Scherz
seiner Mutter ein.
    Als sie hinausgingen, schmiegte sich
einer der Enkel Cevdets an Ömer und fragte: »Was ist gelb und steht auf der
Wiese?«
    »Ein gelber Hund?« sagte Ömer
lächelnd.
    Als sie am Treppenabsatz standen,
sah Refık, dass Perihan wieder vom Obergeschoss herunterkam, aber sich in
eine Ecke drückte, um sich von seinen Freunden nicht verabschieden zu müssen.
»Warum hat sie das nur getan?« dachte er. Er begleitete Ömer und Muhittin bis
zum Gartentor und nahm ihnen das Versprechen ab, möglichst bald wieder auf
einen Plausch vorbeizukommen. Dann sah er ihnen nach, bis sie am Nişantaşıplatz in
der festtäglich gekleideten Menge verschwanden. »Meine ganze Jugend und
Studienzeit habe ich mit den beiden verbracht!« Dann wandte er sich um und
ging wieder aufs Haus zu. Der zwei Tage vorher gefallene Schnee war noch nicht
ganz weggeschmolzen; er hielt sich noch auf einigen Ästen. Es wehte ein
eiskalter Wind, der ein wenig von dem Schnee herunterblies. Schnell ging
Refık wieder ins warme Haus hinein. Er setzte sich an den Ofen, wärmte
sich auf und beteiligte sich an der Unterhaltung.

5
  NOCH EIN HEIM
    Der Diener, der Ömer die Tür zu der Wohnung

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