Cevdet und seine Soehne
sollten mal lernen, Familienleben und Geschäfte zu trennen.«
Wieder sah er hinauf. Einer der Engel schien ihm zuzulächeln. Als er sich
wieder der wirklichen Welt zuwandte, seufzte er: »Die hören und hören nicht
auf! Heute morgen haben mir alle die Hand geküsst, aber jetzt kümmert sich
keiner mehr um mich!« Aus dem Zimmer, in dem das Klavier und die Möbel mit den
Perlmuttintarsien standen, ertönte Musik. Er erinnerte sich wieder, dass zuvor
Ayşe dort hineingegangen war. Die Musik war leise, unrhythmisch und
abweisend. Nichts wurde davon übertönt. »Früher spielte auch Nigân. Zu Anfang
fand ich das aufregend und erzählte überall stolz davon, aber eigentlich habe
ich mich an das Geklimpere nie so richtig gewöhnt.« Emine servierte den Tee.
Während sie ihn tranken, ließ Nigân
die anderen wissen, die Porzellantassen mit den blauen Rosen darauf seien ein
Geschenk ihrer Großmutter gewesen. Das hatte sie zwar schon an anderen
Feiertagen erwähnt, doch fand sie dafür immer noch dankbare Zuhörer. Leyla
erzählte dann eine Anekdote über eine Zuckerdose, die sie von ihrer Mutter
hatte. Perihan warf daraufhin ein, genauso eine silberne Zuckerdose wie die
eben beschriebene habe auch ihre eigene Mutter. Nigân forderte ihre Tochter
auf, doch wenigstens von den Pasteten etwas mehr zu essen. Während sie sich
darüber unterhielten, wie der Koch Nuri diese Pasteten zubereitete, erschien
Nuri selbst und sagte, er habe dem Briefträger das übliche Bayram Trinkgeld
ausgehändigt. Er überreichte Cevdet zwei Kuverts.
Die Handschrift auf dem ersten
Kuvert erkannte Cevdet sofort. Der Buchhalter Sadık hatte wie zu jedem
Bayram eine Glückwunschkarte des Türkischen Luftfahrtvereins gesandt. Cevdet
öffnete den Umschlag und sah das übliche Bild eines in die Wolken
hineinfliegenden Flugzeugs. »Immer das gleiche!« seufzte er, doch ohne
Bitternis. Ihn reute nicht, wie er gelebt hatte. »Nur alt bin ich halt
geworden!« Bedächtig und ohne Arg öffnete er das zweite Kuvert. Doch als er den
Namen erblickte, der da unter den Feiertagswünschen für ihn und seine ganze
Familie stand, wollte er sich an diesen gar nicht gern zurückerinnern. »Wer
soll das sein? Ziya Işıkçı
… Ach so, natürlich, Ziya Işıkçı!
« Zwei Jahre zuvor, bei der Einführung von Familiennamen, hatte Ziya denselben
Namen angenommen wie Cevdet: Işıkçı,
»Beleuchter«. Als könne er nicht genau lesen, was da stand, rückte er den Kopf
vor und zurück, wie um die Buchstaben mühsam zu entziffern. »Ich habe ihn zur
Armee geschickt, und er ist dort auch geblieben!« Ja, Ziya Işıkçı war jetzt bei
der Armee, aber Cevdet dachte nicht gern an ihn zurück. Er steckte die Karte
wieder in das Kuvert. »Warum er sich wohl nach so vielen Jahren an uns
erinnert?« Nun wiegte er den Kopf nicht mehr vor und zurück, sondern nach links
und rechts, wie er das beim Nachdenken oft tat. Er versuchte die Gedanken an
den Jungen zu verscheuchen.
»Von wem sind denn die
Glückwünsche?« fragte Fuat.
»Von alten Bekannten!« Cevdet suchte
krampfhaft nach ablenkenden Worten, und sein Gesicht entspannte sich erst, als
ihm einfiel: »Unser Sommerhaus auf Heybeliada ist bald fertig!« Das war zwar
kein neues Thema, aber doch immerhin ein Thema. »Ende des Monats wird
hoffentlich das Dach fertig. Im Frühling fahren wir dann hin. Ihr kommt
natürlich auch mit! Es verkehrt jetzt ein neuer Dampfer dahin. Von der
Galatabrücke aus sind es nur noch zwei Stunden bis auf die Insel!«
»Schön!« erwiderte Fuat.
»Damit ist das endlich ein abgeschlossenes
Kapitel«, sagte Cevdet. Er blickte kurz zu Nigân hinüber und dann verlegen zum
Fenster hinaus, auf den Nişantaşıplatz.
Als es schon dunkelte, schellte es
draußen am Gartentor noch einmal. Danach war in der Eingangshalle freudiges
Rufen zu hören. Einer der Enkel stieß ein lautes Lachen aus.
Schließlich betrat ein kräftig
gebauter, gutaussehender junger Mann den Raum.
Der zur Tür hereinlugende Koch rief:
»Es ist Ömer! Ich habe ihn als erster erkannt!«
Cevdet betrachtete den quicklebendigen
jungen Mann und fragte sich, warum er ihn nicht selbst gleich erkannt hatte.
Als er ihm die Hand zum Begrüßungskuss hinhielt, staunte er, wie sehr Ömers
Augen blitzten und strahlten. Während Ömer die anderen begrüßte und ihnen frohe
Feiertage wünschte, konnte Cevdet sich wieder etwas fassen. Dann beorderte er
den vor Jugend und Gesundheit strotzenden jungen Mann auf den Stuhl neben sich.
»Komm,
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