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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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seien von ihrem
Elternhaus in Şişli
zu Fuß herübergekommen, und dabei energisch die Schultern reckte, wurde Cevdet
wieder bewusst, wie müde dagegen er selbst war. Nigân berichtete, wie sehr sie
beim Schlachten der Opfertiere gefroren hätten, während Cevdet ergänzte, dass
es auch in der Moschee kalt gewesen sei. Den Gang zum Feiertagsgebet ließ er
sich noch immer nicht nehmen. Leyla sagte, ihrem Vater gehe es nicht besonders
gut, und auf die Nachfrage Cevdets hin erläuterte sie, die Nieren machten ihm
zu schaffen. Darauf wusste Nigân zu sagen, dass auch der Ehemann Mebrures über
ein Nierenleiden klage und sich deswegen in Çırçır um Heilung bemühe. Wie groß Remzi
schon geworden sei, richtig hochgeschossen! Leyla erwiderte, er wachse einfach
zu schnell, und um seine Zähne sei es auch nicht gerade gut bestellt. Da wies
Nigân Emine an, sie solle doch ihre Tochter, ihre Söhne, die Schwiegertöchter
und die Enkel rufen.
    Cevdet dachte: »Die haben sich
bestimmt alle hingelegt! Keiner kümmert sich um die Gäste, nur wir Alten!« Da
trudelten vom Obergeschoß her die jungen Leute wie auf den Boden fliegende
Kichererbsen ein, und während des allgemeinen Begrüßens und Umarmens dachte
Cevdet wieder trübe, wie munter doch alle seien, während er sich kaum auf den
Beinen halten konnte. Der Kaffee hatte keine Wirkung gezeitigt, und Cevdet
blieb nichts übrig, als den Gesprächen zu lauschen.
    Leyla erzählte, wie aufsässig Remzi
nun manchmal sei, und sah dabei zwischen dem Jungen und den Gastgebern hin und
her. Da sie ihre Klage aber mit lächelnder Miene vortrug und der dickliche
Junge – wie Kinder, die sich so etwas öfter anhören müssen – dabei nur
gleichgültig mit dem Fuß wippte, reagierten die Zuhörer schmunzelnd. Nigân
beschwichtigte, zu solchen Lümmeleien komme es nun mal bei Kindern dieses
Alters, und sie führte auch gleich Beispiele aus der Kindheit ihrer eigenen
Söhne an und löste damit allgemeine Heiterkeit aus. Dann ließ Nigân wieder nach
Ayşe rufen, denn Leyla hatte diese schon lange nicht mehr gesehen. Als nun
Nigân zum Lamentieren über ihre Tochter ansetzte, hörte ihr wiederum Leyla
verständnisvoll zu und beeilte sich, Ayşe als doch eigentlich gutes und
liebenswertes Mädchen zu bezeichnen. Danach kamen sie auf einen in den
Zeitungen ausführlich geschilderten Trambahnunfall zu sprechen, der sich in der
Steigung von Şişhane
ereignet und vier Menschen das Leben gekostet hatte. Cevdet hätte nun am
liebsten mit Fuat in Erinnerungen geschwelgt, doch musste er sehen, dass sein
alter Freund schon anderweitig beschäftigt und mit Osman in ein ernstes, ganz
unfeiertägliches Gespräch verwickelt war.
    »Die wollen das unter sich
ausmachen!« dachte Cevdet bitter. Er begriff sogleich, dass es um die
Zukunft der Import-Export-Firma ging, die er einst mit Fuat zusammen gegründet
hatte, als dieser nach dem Regimewechsel im Jahre 1908 von Saloniki nach
Istanbul gezogen war. Nach der Gründung der Republik war es geschäftlich bergab
gegangen, doch nun erholte sich die Firma. Geleitet wurde sie von einem
Schnösel, der sein Wirtschaftsstudium in Europa absolviert hatte. Osman war nun
dafür, diesen abzuberufen und die Firma enger an sein eigenes Unternehmen zu
binden. Cevdet hielt dagegen, dazu sei jene Firma nicht wichtig genug. Fuat
wiederum stand wie immer jeglicher Neuerung, die zu seinen Gunsten ausfiel,
durchaus aufgeschlossen gegenüber. »Die wollen mich Alten da raushalten«,
dachte Cevdet. »Fuat ist zwar auch nicht jünger, aber er hat erst spät
geheiratet, und daran hat er gut getan.« Cevdet schielte zu Leyla hinüber.
»Außerdem hat er sich nicht so abgearbeitet wie ich. Er strotzt nur so vor
Gesundheit!« Cevdet versuchte auf andere Gedanken zu kommen, so wie man nach
Einnahme einer bitteren Medizin den Nachgeschmack im Mund wieder loswerden
will.
    Er blickte nach oben, auf die Stuckarbeiten
an der Decke, die ihm bei der ersten Besichtigung des Hauses schon aufgefallen
waren. Zwischen Lorbeerblättern und Rosen diversester Größe flogen noch immer
die pausbäckigen Putten herum. »Da wollte ich eine europäische Familie gründen,
und doch ist alles türkisch geworden!« Er erinnerte sich an einen Scherz seines
verstorbenen Bruders: »Wer europäisch sein will, wird oft ganz besonders
türkisch!« Dann ließ er den Blick wieder von den Engeln zu den Menschen
herabschweifen: Diese aber redeten noch immer. Fuat erläuterte etwas, und Osman
nickte dazu. »Sie

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