Cevdet und seine Soehne
anderen Seite her aufschieben.« Er stand
auf und öffnete seinem Freund den Bücherschrank.
Ömer nahm ein Buch heraus und ging
zum Schreibtisch zurück. »Muhittin hat immer so viel gelesen. Was ist jetzt mit
seiner Dichterei?«
»Er kommt auch gleich! Du bleibst
doch zum Essen, ja?«
»Nein, ich muss nach Ayazpaşa.
Habe ich einem Verwandten versprochen. Du kennst ihn vielleicht, er heißt
Muhtar Laçin und ist
Abgeordneter von Manisa.«
»Wie bist du mit dem verwandt?«
Ȇber ein paar Ecken. Ich glaube, meine
Mutter ist die Stiefschwester seiner verstorbenen Frau oder so was Ähnliches,
so genau weiß ich das nicht mehr.«
»Du hast ja allerhand vergessen!«
erwiderte Refık mit leicht beleidigtem Unterton.
»Ach, stimmt doch gar nicht! Nur
diesen Familienkram, aber sonst nichts.«
»Und wie findest du alles hier?«
Ömer blickte wieder im Zimmer herum.
»Hier zum Beispiel ist noch alles gleich. Na ja, irgendwie hat sich nicht viel
verändert. Hier bei euch geht es am Bayram immer noch recht munter zu. Sogar noch
munterer. Ihr seid ganz schön viele geworden!«
Refık lächelte, als sei ihm
gerade etwas eingefallen, und errötend sagte er dann: »Na ja, ich habe eben
geheiratet!«
»Ist ja auch recht so.«
Refık ging darauf nicht ein,
sondern sagte in etwas klagendem Ton: »Ja, geheiratet habe ich, und wie du
gesehen hast, ist meine Frau recht hübsch, wir lieben uns, ich gehe jeden Tag
in die Firma, und statt Ingenieur zu sein, helfe ich meinem Vater im Geschäft,
und ich lese die Bücher nicht, die ich mir immer kaufe. Also, meine Ehe ist
eigentlich alles, was ich in vier Jahren zustande gebracht habe! Aber ich
beklage mich nicht!«
»Warum solltest du auch?« Ömer warf
einen Blick in das Buch in seiner Hand. Dann stand er auf und stellte es in den
Bücherschrank zurück. »Ich habe für so etwas auch keine Zeit. Dabei habe ich
früher viel gelesen. Wie die Leute das heute noch schaffen, ist mir ein Rätsel.
In mir kocht es nämlich immer. Ich will etwas anfangen mit meinem Leben. Etwas
Bedeutendes.« Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Unbedingt!«
»Hast du dich jetzt entschieden?
Gehst du zur Eisenbahn?«
»Ja. Das heißt … Ich habe das
gesagt unten, ja? Eigentlich ist meine Entscheidung noch nicht gefallen. Aber
sie ist auch gar nicht so wichtig. Hauptsache ist, dass ich in mir diesen
Tatendrang fühle. Verstehst du, was ich meine? Ich brenne darauf, etwas zu tun.
Etwas anzupacken und es ganz und gar an mich zu reißen. Gib mir mal eine
Zigarette. Verstehst du mich eigentlich?«
»Sehr gut sogar!« erwiderte
Refık, vom Eifer seines Freundes angesteckt.
Ömer blieb vor dem Fenster stehen.
»Schau dir nur mal diesen Garten an. Ewig der gleiche. So wie diese Kastanien
und Linden vor vier Jahren dastanden, so stehen sie heute noch da. Ich aber
will, dass sich etwas rührt, dass alles umgestülpt und umgewälzt wird. Aber
nicht einfach von allein. Ich will der Auslöser von alledem sein, will das
alles prägen!« Er wanderte wieder auf und ab.
Refık hörte ihm angeregt zu. Er
spürte einen fast beunruhigenden Elan in sich anwachsen und sagte hin und
wieder »Ja, ja!«
Da ging die Tür auf, und das
Dienstmädchen kam herein. »Ich bringe den Herren Tee. Ich habe Sie sogleich
wiedererkannt, Ömer. Sie haben sich überhaupt nicht verändert. In Ihren Tee
habe ich Zitrone reingeträufelt. Sehen Sie, habe ich nicht vergessen!«
»Hut ab!«
»Sie lachen noch genauso wie früher!
Sie sind wirklich ganz der gleiche. Na ja, wir ja auch!« Beim Hinausgehen sah
sie zu Refık. »Nur dass der junge Herr geheiratet hat … Soll ich Ihnen
Pastetchen bringen?«
»Nicht nötig«, wehrte Refık ab.
Verlegen sah er Ömer an. Als die Tür zu war, sagte er: »Zum Thema Ehe möchte
ich folgendes anmerken: Ich mag Perihan … Und zwar sehr. Und dir wollte ich
eigentlich auch sagen, dass du heiraten sollst. Aber ich tu’s nicht mehr. Ich
kann dir weder zu- noch abraten.«
»Und warum das?«
»Weiß auch nicht«, erwiderte
Refık hastig. Er wollte nicht wehleidig wirken. »Ich sag dir das einfach
aus dem Bauch heraus. Wir sollten uns mal ernsthaft darüber unterhalten, aber
das ist ja heute nicht möglich, was? Bei dem Feiertagstrubel da unten! Wenn du
zum Essen bleiben würdest … Aber na ja, du kannst eben nicht!« Nervös ließ
er seine Fingergelenke knacken.
Ömer sagte lächelnd: »Ich begreif
dich schon! Aber begreifst du mich auch?«
»Klar, natürlich … Wir reden
später drüber. Wir
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