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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Cazaril fluchte, atmete einige Male tief durch und bereitete sich erst einmal vor. Brot. Messer. Kerzen. Sich windender Sack. Kniender Mann. Voller Gelassenheit? Wohl kaum.
    Hilf mir. Hilf mir. Hilf mir.
    Die Krähe kehrte zurück, oder ihr Zwillingsbruder. »Caz! Caz!«, rief sie, nicht allzu laut. Doch in der Tiefe des Turmes klangen die Echos merkwürdig widerhallend.
    »Richtig«, stieß Cazaril keuchend hervor. »Richtig.«
    Er zerrte die Ratte aus dem Sack, setzte die Klinge an ihrer Kehle an und flüsterte: »Lauf zu deinem Herrn und trage meine Bitte mit dir.« Scharf und schnell entließ er ihr Lebensblut. Die warme dunkle Flüssigkeit rann über seine Hand. Er legte den kleinen Leichnam neben sein Knie.
    Dann streckte er seinen Arm der Krähe entgegen. Sie sprang darauf und beugte sich hinab, um das Rattenblut von seiner Hand zu lecken. Die schwarze, vorschnellende Zunge erschreckte ihn so sehr, dass er zusammenzuckte und beinahe ein weiteres Mal den Vogel verloren hätte. Er barg das Tier unter dem Arm und küsste es auf den Kopf. »Vergib mir. Meine Not ist groß. Vielleicht wird der Bastard dir vom Brot der Götter zu kosten geben, und dich auf Seiner Schulter sitzen lassen, wenn du bei Ihm bist. Fliege zu deinem Herrn mit meinem Gebet.« Eine rasche Drehung brach der Krähe den Hals. Sie flatterte noch kurz, zitternd, dann lag sie schlaff in seinen Händen. Er legte das Tier vor seinem anderen Knie ab.
    »Lord Bastard, Gott der Gerechtigkeit, wenn Recht nicht zu erlangen ist. Gott des Ausgleichs und aller Dinge, die nicht mit den Jahreszeiten kommen. Gott meiner Not. Für dy Sanda. Für Iselle. Für alle, denen sie etwas bedeutet – Lady Betriz, Königin Ista, die alte Herzogin. Für die Verwüstungen auf meinem Rücken. Für die Wahrheit gegen die Lügen. Erhöre mein Gebet!«
    Er wusste nicht, ob diese Worte die richtigen waren, oder ob es überhaupt richtige Worte gab. Er geriet außer Atem. Vielleicht weinte er … natürlich weinte er! Er stellte fest, dass er sich über den toten Tieren zusammenkrümmte. Ein furchtbarer Schmerz breitete sich in seinem Leib aus, krampfhaft; ein Brennen durchlief seine Eingeweide. Er hatte nicht gewusst, dass es so weh tat.
    Und wenn schon – besser, so zu sterben als sinnlos auf der Galeere, durch eine Salve brajarischer Armbrustbolzen im Hintern.
    Höflicherweise setzte er noch hinzu: »Wir danken auch für deine Gaben, Gott des Unangebrachten.« Ganz so, wie in seinen Gute-Nacht-Gebeten als Kind.
    Hilf mir. Hilf mir. Hilf mir.
    Oh.
    Die Kerzenflammen flackerten und erloschen. Die Dunkelheit wurde noch dunkler, und Schwärze senkte sich herab.
     

 
12
     
     
    M
    ühsam öffnete Cazaril seine verklebten Augen. Verständnislos starrte er empor auf einen ausgefransten, grauen Riss, der sich schwarz gerahmt im Himmel auftat. Er fuhr sich mit der Zunge über die verkrusteten Lippen und schluckte. Er lag mit dem Rücken auf harten Brettern – das stützende Gerüst innerhalb von Fonsas Turm! Die Erinnerungen an die Nacht zuvor stürzten auf ihn ein.
    Ich lebe.
    Also habe ich versagt.
    Seine blind tastende rechte Hand traf auf einen reglosen kleinen Federhaufen und wich davor zurück. Keuchend lag Cazaril da und erinnerte sich an die zurückliegenden Schrecknisse. Ein Krampf zerrte an seinen Eingeweiden, ein dumpfer Schmerz. Er zitterte, war feucht und durchgefroren – kalt wie ein Leichnam. Aber er war kein Leichnam. Er atmete. Also atmete Dondo dy Jironal ebenfalls, an diesem … war es der Morgen seiner Hochzeit?
    Als Cazarils Augen sich allmählich den Lichtverhältnissen anpassten, bemerkte er, dass er nicht alleine war. Auf dem grob gezimmerten Geländer, das die Arbeitsplattform umgab, saß aufgereiht ein Dutzend oder mehr Krähen im Schatten, vollkommen schweigsam und beinahe reglos. Sie alle schienen unverwandt auf ihn herabzustarren.
    Cazaril betastete sein Gesicht, fand aber keine blutigen Verletzungen – keiner der Vögel hatte versuchsweise einen Happen herausgepickt. »Nein«, flüsterte er brüchig. »Ich bin nicht euer Frühstück. Tut mir Leid.« Eine Krähe raschelte unsicher mit den Flügeln, doch keine von ihnen flog beim Klang seiner Stimme davon. Selbst als er sich aufsetzte, bewegten sie sich nur auf der Stelle, erhoben sich aber nicht in die Luft.
    Nicht alle Eindrücke der letzten Nacht waren in der Schwärze versunken – Bruchstücke eines Traums bewegten sich durch seine Erinnerung. Er hatte geträumt, er sei Dondo dy Jironal und

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