Chalions Fluch
kannst. Ich habe Hunger!« Lachend schlurfte Cazaril davon. Er lachte tatsächlich und täuschte es nicht nur vor. Ein merkwürdiges, wildes Hochgefühl erfüllte ihn, das anhielt, bis er sein Schlafgemach erreichte und sich niedersetzte, um den Rest seines Plans zu durchdenken, sein finsteres Gebet, seinen Selbstmord. Die Nacht war hereingebrochen. Zu dieser Tageszeit würde die Krähe nicht zu seinem Fenster fliegen, nicht einmal für das Stück Brot, das er auf dem Rückweg vom Bankettsaal eingesteckt hatte. Er drehte das Brotstück zwischen seinen Fingern. Die Krähen nisteten in Fonsas Turm. Wenn sie nicht zu ihm flogen, konnte er zu ihnen kriechen, über die Dachschindeln.
Im Dunkeln, auf dem glatten Untergrund? Und dann zurück zu seinem Gemach, mit einem lautstark protestierenden Bündel unter dem Arm …?
Nein. Das Bündel würde der Sack mit der Ratte sein. Wenn er dort seine Tat beging, im Schatten des eingestürzten Daches auf dem Untergrund, den die Überreste der versengten und wackligen Plattform im Innern ihm bieten mochten, musste er den Weg nur einmal zurücklegen. Und schon einmal hatte dort ein Todeszauber funktioniert, nicht wahr? Auf spektakuläre Weise, für Iselles Großvater. Würde Fonsas Geist dem ruchlosen Krieger seiner Enkeltochter beistehen? Sein Turm war ein heimgesuchter Ort, er war dem Bastard und seinen Tieren heilig, besonders bei Nacht, Mitternacht, und im kalten Regen. Cazarils Körper musste niemals gefunden, niemals beerdigt werden. Die Krähen konnten sich an seinen Überresten gütlich tun – ein gerechter Ausgleich für das, was er ihrem armen Artgenossen anzutun gedachte. Tiere waren arglos, sogar die grauslichen Krähen. Diese Unschuld heiligte die Tiere ganz gewiss.
Viel früher, als Cazaril für möglich gehalten hätte, tauchte der unsichere Page wieder auf, mitsamt einem sich windenden Sack. Cazaril überprüfte den Inhalt – die zuschnappende und fauchende Ratte musste an die anderthalb Pfund wiegen – und zahlte daraufhin den vereinbarten Bonus. Der Page steckte die Münze ein und ging davon, wobei er gelegentlich neugierige Blicke über die Schulter warf. Cazaril verschnürte den Sack fest und verschloss ihn dann in seiner Kiste, damit sein todgeweihter Gefangener nicht entkommen konnte.
Anschließend entledigte er sich seiner höfischen Garderobe und legte die Robe und den ärmellosen Mantel an, den auch der Wollhändler bei seinem Tod getragen hatte. Vielleicht brachte es seinem Unternehmen Glück. Stiefel, Schuhe oder barfuß? Was gab den besseren Halt auf den schlüpfrigen Steinen und Schindeln? Barfuß, entschied Cazaril. Dennoch zog er noch einmal seine Schuhe an, für eine letzte, häusliche Unternehmung.
»Betriz?«, flüsterte er laut an der Tür seines Vorzimmers. »Lady Betriz? Ich weiß, dass es spät ist – könnt Ihr vielleicht noch einmal zu mir herauskommen?«
Sie war immer noch vollständig angezogen, immer noch blass und erschöpft. Er fasste sie bei den Händen, und sie drückte kurz die Stirn an seine Brust. Der warme Duft ihrer Haare führte ihn für einen verwirrenden Augenblick zurück zu seinem zweiten Tag in Valenda, als er neben ihr in der Menge vor dem Tempel gestanden hatte. Nur ihre Ergebenheit hatte sich seit jener glücklichen Stunde nicht verändert.
»Wie geht es der Prinzessin?«, fragte Cazaril sie.
Betriz blickte im schwachen Kerzenlicht auf. »Unaufhörlich betet sie zur Tochter. Seit gestern hat sie nichts mehr zu sich genommen. Ich weiß nicht, wohin die Götter verschwunden sind, oder weshalb sie uns verlassen haben.«
»Ich konnte Dondo heute nicht töten. Ich kam einfach nicht in seine Nähe.«
»Das hatte ich mir schon gedacht. Andernfalls hätten wir etwas gehört.«
»Eine Sache wollte ich noch ausprobieren. Wenn das nichts bewirkt, komme ich morgen früh zurück, und wir werden sehen, was Ihr mit Eurem Messer ausrichten könnt. Aber ich wollte Euch noch wissen lassen … wenn ich morgen früh nicht wiederkomme, geht es mir gut. Macht Euch keine Sorgen um mich, und sucht nicht nach mir.«
»Ihr wollt uns doch nicht im Stich lassen?« Krampfhaft umklammerte sie seine Hand.
»Nein, niemals!«
»Ich verstehe Euch nicht.«
»Kümmert Euch um Iselle. Und traut niemals dem Kanzler dy Jironal, unter keinen Umständen.«
» Das hättet Ihr mir wirklich nicht sagen müssen.«
»Da ist noch etwas … Mein Freund Palli, der Graf dy Palliar, kennt die Wahrheit darüber, wie ich nach Gotorget verraten wurde. Wie
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