Chalions Fluch
der Bastard mir kein Todeswunder gewährt haben. Und doch ist Dondo tot. Wie?
Wie anders, als dass irgendjemand Cazaril zuvorgekommen war?
Mit einiger Verspätung kam er zum gleichen Schluss wie dy Jironal.
Betriz!
Nein, o nein!
Er schwang sich aus dem Bett, schlug hart auf dem Boden auf, kämpfte sich wieder hoch und taumelte der Menge der erzürnten und verwirrten Höflinge hinterher.
Als er seine überfüllte Schreibstube im Vorzimmer erreichte, hörte er dy Jironal brüllen: »Dann bringt sie heraus, damit ich sie sehen kann!« Vor ihm stand eine unordentlich und verängstigt aussehende Nan dy Vrit, die den Zugang zu den hinteren Räumlichkeiten mit dem Körper versperrte, als ginge es darum, eine Zugbrücke zu verteidigen. Cazaril schwanden beinahe die Sinne vor Erleichterung, als Betriz mit grimmigem Gesicht hinter Nans Schulter erschien. Nan war für die Nacht gekleidet, doch Betriz, die zerzaust und müde aussah, trug immer noch dasselbe grüne Wollkleid wie am vergangen Abend. Hatte sie geschlafen? Aber sie lebt, sie lebt!
»Was veranstaltet Ihr hier für einen ungehobelten Lärm, Lord dy Jironal?«, verlangte er mit kalter Stimme zu wissen. »Das ist ungehörig und unzeitig früh.«
Dy Jironals Mund klappte auf. Er war sichtlich überrascht. Nach einem Moment schlugen seine Zähne aufeinander. »Wo ist die Prinzessin? Ich muss die Prinzessin sehen!«
»Sie schläft – zum ersten Mal seit Tagen. Ich lasse nicht zu, dass sie gestört wird! Sie wird bald genug ihre Träume gegen einen Albtraum eintauschen müssen.« Betriz’ Nasenflügel bebten vor Feindseligkeit.
Dy Jironal richtete sich auf. Zischend holte er Luft. »Wecken? Könnt Ihr sie wecken?«
Gütige Götter. Was es möglich, dass Iselle …? Aber bevor noch diese neue Furcht Cazaril die Kehle zuschnüren konnte, erschien auch schon Iselle selbst. Sie drängte sich zwischen ihren Damen hindurch, schritt gelassen ins Vorzimmer und trat dy Jironal entgegen.
»Ich schlafe nicht. Was wollt Ihr, dy Jironal?« Flüchtig schweifte ihr Blick zu Orico, der am Rand der Menge stand, glitt geringschätzig über ihn hinweg und richtete sich wieder auf’ dy Jironal. Argwöhnisch kniff sie die Brauen zusammen. Offensichtlich erkannte sie, welche Macht sie zu der unwillkommenen Hochzeit zwang.
Dy Jironal starrte von einer Frau auf die andere, die allesamt unzweifelhaft lebendig vor ihm standen. Dann fuhr er herum und musterte erneut Cazaril, der blinzelnd auf Iselle starrte. Auch um sie waberte die seltsame Aura, so wie um Orico, doch die ihre war aufgewühlter. Tiefe Dunkelheit vermischte sich mit einem leuchtenden, blassen Blau, wie das Polarlicht, das Cazaril einst im fernen Süden am Nachthimmel gesehen hatte.
»Wer auch immer«, knirschte dy Jironal zwischen den Zähnen. »Wo auch immer. Ich werde die Leiche dieses dreckigen Feiglings finden, und wenn ich ganz Chalion absuchen muss!«
»Und was dann?«, erkundigte sich Orico und rieb seine unrasierten Wangen. »Sie aufhängen?« Er beantwortete dy Jironals Starren mit einem ironischen Blick. Dy Jironal wirbelte herum und stapfte hinaus. Cazaril trat beiseite, um sein Gefolge passieren zu lassen. Verstohlen schaute er zwischen Orico und Iselle hin und her und verglich die beiden … Halluzinationen? Kein anderer hier zeigte dieses Pulsieren. Vielleicht bin ich krank. Vielleicht bin ich verrückt.
»Cazaril«, sagte Iselle in offenkundiger Verwirrung, sobald die Leute durch die Außentür verschwunden waren. Nan beeilte sich, sie hinter den Eindringlingen zu schließen, »Was ist passiert?«
»Jemand hat letzte Nacht Dondo dy Jironal getötet. Mit einem Todeszauber.«
Sie öffnete den Mund und klatschte in die Hände, wie ein Kind, dem gerade ein Herzenswunsch erfüllt worden war. »Oh! Oh! Oh, das sind gute Neuigkeiten! Oh, Dank sei der Herrin, Dank dem Bastard! Ich werde so viele Gaben an seinem Altar spenden … oh, Cazaril, wer …«
Als Betriz einen Blick in seine Richtung warf, verzog er das Gesicht. »Ich nicht. Wie man sehen kann.« Was nicht daran liegt, dass ich es nicht versucht hätte.
»Habt Ihr …«, setzte Betriz an; dann presste sie die Lippen zusammen. Anerkennend veränderte sich Cazarils Gesichtsausdruck, als sie taktvoll davon Abstand nahm, ihn vor zwei Zeugen offen zu fragen, ob er ein Kapitalverbrechen geplant hatte.
Iselle ging hin und her, außer sich vor Erleichterung. »Ich glaube, ich habe es gespürt«, sagte sie mit einem Ausdruck tiefsten Erstaunens. »Auf
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