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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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ich mir Dondo zum Feind machte … das spielt keine Rolle. Aber Iselle sollte wissen, dass sein älterer Bruder mich mit Absicht von der Liste der Männer gestrichen hat, für die Lösegeld gezahlt wurde. Durch diesen Verrat brachte er mich auf die Galeeren. Er wollte meinen Tod. Es gibt keinen Zweifel. Ich habe die Liste selbst gesehen und seine Handschrift erkannt – ich kannte sie nur zu gut von seinen schriftlichen Befehlen.«
    Betriz stieß den Atem zwischen den Zähnen hervor. »Kann man ihn dafür denn nicht zur Rechenschaft ziehen?«
    »Das bezweifle ich. Wenn der Vorwurf bewiesen werden könnte, würde sich vermutlich der halbe A del von Chalion weigern, in Zukunft unter seinem Banner zu reiten. Das könnte ausreichen, um ihn zu Fall zu bringen. Oder auch nicht. Es ist ein Pfeil, den Iselle in ihrem Köcher bereithalten kann. Eines Tages wird sie ihn vielleicht abschießen.« Er schaute in Betriz’ Gesicht. Es war ihm zugewandt, Elfenbein und Korallenrot und mit unergründlichen, ebenholzschwarzen Augen, die im schwachen Licht geweitet waren. Unbeholfen beugte er sich vor und küsste sie.
    Ihr Atem stockte; dann lachte sie erschrocken auf und hielt sich die Hand vor den Mund. »Tut mir Leid. Euer Bart kratzt.«
    »Ich … verzeiht. Palli wäre ein überaus ehrenwerter Gemahl für Euch, wenn Ihr etwas für ihn übrig hättet. Er ist aufrichtig. So wie Ihr. Lasst ihn wissen, dass ich das gesagt habe.«
    »Cazaril, was habt Ihr …«
    Nan dy Vrits Stimme erklang aus den Gemächern der Prinzessin: »Betriz? Kommt Ihr bitte?«
    Er musste jetzt alles hinter sich lassen, selbst das Bedauern. Er küsste ihre Hände und flüchtete.
     
    Die nächtliche Kletterpartie über das Dach des Zangres, vom Hauptgebäude zu Fonsas Turm, war so Übelkeit erregend, wie Cazaril vorausgesehen hatte. Es regnete noch immer. Dann und wann schien der Mond hinter den Wolken hervor, doch sein düsterer Glanz war keine große Hilfe. Der Untergrund war brüchig und schlüpfrig unter Cazarils bloßen Füßen und strahlte lähmende Kälte aus. Am schlimmsten war der abschließende kurze Sprung über eine sechs Fuß breite Lücke auf die Oberkante des runden Turmes. Zum Glück ging der Sprung nach unten, nicht nach oben, und so endete Cazaril nicht als Fall von Selbstmord, zerschmettert auf den Pflastersteinen tief unter ihm.
    Der Sack ruckte in seiner Hand. Pfeifend ging sein Atem hinter den kalten Lippen. Er verweilte nach dem Sprung zusammengekauert und zitternd und hielt sich an einigen abschüssigen Dachziegeln fest, die vom Regen rutschig waren. Er malte sich aus, wie ein Ziegel sich löste, auf den Steinen unten zerschellte und die Aufmerksamkeit der Wachen auf ihn lenkte … Langsam arbeitet er sich um die Überreste des Daches herum, bis der dunkle Abgrund des eingefallenen Bereichs an seiner Seite gähnte. Cazaril setzte sich auf die Kante und tastete mit den Füßen. Kein fester Grund war zu spüren. Er wartete, bis der Mond wieder hervorkam. War das eine Zwischendecke dort unten? Oder nur der Rest eines Geländers? In der Dunkelheit gab eine Krähe leise Geräusche von sich.
    Die nächsten zehn Minuten verbrachte Cazaril damit, schwankend und mit zitternden Händen einen Kerzenstumpf aus seiner Tasche zu entzünden – auf seinem Schoß, mit Feuerstein und Zunder und ganz auf den Tastsinn angewiesen. Er bekam ein paar o berflächliche Verbrennungen ab, doch am Ende hatte er eine kleine Flamme.
    Es war ein Geländer, und eine kleine Fläche behelfsmäßigen Untergrunds. Irgendjemand hatte nach dem Brand schweres Balkenwerk innerhalb des Turms aufgerichtet, vermutlich, um Arbeiten am Mauerwerk durchzuführen, damit den Leuten keine Steine auf den Kopf fielen. Cazaril hielt den Atem an und ließ sich auf eine stabile, wenn auch kleine und grobe gezimmerte Plattform fallen. Er verkeilte den Kerzenstumpf in einer Lücke zwischen zwei Brettern und zündete einen weiteren an dem ersten an. Schließlich packte er sein Brot aus, und nahm Betriz’ messerscharfen Dolch. Dann schaute er sich um. Eine Krähe fangen. Ha! Das hatte sich so einfach angehört, damals, in seiner Schlafkammer. Doch in den unruhig flackernden Schatten konnte er die Krähen nicht einmal sehen.
    Flügelschlagen ertönte neben seinem Kopf, als eines der Tiere auf dem Geländer landete. Cazaril blieb fast das Herz stehen. Zitternd hielt er ein Stückchen Brot am ausgestreckten Arm. Die Krähe pickte den Brocken zwischen seinen Fingern weg und flog wieder davon.

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