Chalions Fluch
möglicherweise wirksame Maßnahme.
»Königin Sara meint«, fügte Iselle hinzu und verzog den Mund, »wenn dy Jironal Dondos Mörder ausfindig macht, wird sie für seine Bestattung aufkommen, im Tempel von Cardegoss ständig Gebete für ihn sprechen lassen und seiner Familie eine Leibrente aussetzen.«
»Gut zu wissen«, sagte Cazaril leise. Auch wenn er keine Familie hatte, die versorgt werden musste. Er beugte sich ein wenig vornüber und lächelte, um sein schmerzverzerrtes Gesicht zu verbergen. Also hatte nicht einmal Sara, die Iselles jungfräuliche Ohren mit schockierend intimen Einzelheiten gefüllt hatte, ihr von dem Fluch erzählt. Und er war sich nun sicher, dass Sara ebenfalls davon wusste. Orico, Sara, dy Jironal, Umegat, wahrscheinlich Ista und vielleicht sogar die Herzogin … und keiner hatte es über sich gebracht, die Kinder mit dem Wissen darüber zu belasten, welch dunkle Wolke über ihnen hing. Wer war er, dass er diese unausgesprochene Verschwörung des Schweigens hintergehen durfte?
Mir hat auch niemand davon erzählt. Bin ich jetzt etwa dankbar für diese Rücksichtnahme? Wann gedachten die Beschützer von Teidez und Iselle eigentlich, ihnen von dem Bann zu berichten, in dem sie gefangen waren? Wollte Orico ihnen auf seinem Totenbett davon erzählen, wie sein Vater Ias es bei ihm getan hatte?
Hatte Cazaril das Recht, Iselle in Geheimnisse einzuweihen, die ihre naturgemäßen Beschützer vor ihr verborgen hielten?
War er darauf vorbereitet, ihr zu erklären, wie er das alles herausgefunden hatte?
Er blickte zu Lady Betriz, die sich auf einen weiteren Hocker gesetzt hatte und besorgt ihre bekümmerte königliche Herrin betrachtete. Betriz wusste inzwischen ziemlich genau, dass er sich an einem Todeszauber versucht hatte, aber nicht, dass er erfolgreich gewesen war!
»Ich weiß nicht, was ich als Nächstes versuchen soll«, stöhnte Iselle. »Orico ist zu gar nichts nutze!«
Konnte Iselle sich dem Fluch entziehen, ohne jemals davon zu erfahren? Cazaril holte tief Luft, denn was er nun zu sagen hatte, grenzte an Verrat. »Ihr könntet Schritte unternehmen, um Eure Hochzeit selbst in die Wege zu leiten.«
Betriz wurde aufmerksam, richtete sich auf und schaute ihn aus großen Augen an.
»Im Verborgenen?«, sagte Iselle. »Vor meinem königlichen Bruder?«
»Gewiss vor seinem Kanzler.«
»Ist das rechtmäßig?«
Cazaril stieß die Luft aus. »Eine Ehe, verbrieft und vollzogen, kann nicht ohne weiteres abgetan werden, nicht einmal von einem König. Wenn Ihr in dieser Sache eine hinreichend große Anhängerschaft in Chalion für Euch gewinnen könnt – und eine beachtliche Partei von Gegnern dy Jironals steht schon bereit –, würde es noch sehr viel schwieriger, die Ehe wieder aufzuheben.« Und wenn sie erst einmal aus Chalion heraus war und unter dem Schutz eines so gerissenen Schwiegervaters wie dem Fuchs von Ibra stand, mochte sie den Fluch und alles andere hinter sich lassen. Das Schwierige dabei war, die Sache so zu regeln, dass sie nicht einfach von einer machtlosen Geisel an dem einen Hof zu einer machtlosen Geisel an einem anderem wurde. Aber wenigstens eine nicht verfluchte Geisel.
»Oh!« Iselles Augen leuchteten auf. »Cazaril, ist das möglich?«
»Es gibt da einige Schwierigkeiten bei der Umsetzung«, räumte er ein. »Die allerdings auch umsetzbare Lösungen haben. Am wichtigsten ist es erst einmal, einen Mann zu finden, dem Ihr vertrauen und zu Eurem Botschafter machen könnt. Er muss genug Verstand besitzen, Euch die bestmögliche Position in den Verhandlungen mit Ibra zu verschaffen; er muss geschmeidig genug sein, um eine Brüskierung Chalions zu vermeiden und mutig genug, um in Verkleidung unsichere Grenzen zu überwinden. Er braucht Stärke für die Reise, und er muss Euch treu sein – und nur Euch! Und er muss unverzagt für Eure Sache eintreten. Den falschen Mann auszuwählen, wäre verhängnisvoll.« Im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie presste die Hände aufeinander und runzelte die Stirn. »Könnt Ihr so einen Botschafter für mich finden?«
»Ich werde mir Gedanken darüber machen und mich umschauen.«
»Tut das, Lord Cazaril«, flüsterte sie. »Tut das.«
Mit merkwürdig spöttischer Stimme warf Lady Betriz ein: »Gewiss müsst Ihr nicht allzu weit schauen.«
Still gingen die Festlichkeiten zum Tag des Vaters vorüber. Kalter Regen fiel während der Feiern in Cardegoss und hielt viele Bewohner des Zangres davon ab, am städtischen Umzug
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