Chalions Fluch
teilzunehmen. Orico allerdings betrachtete seine Teilnahme als königliche Pflicht und zog sich infolgedessen einen Schnupfen zu. Diesen nutzte er, um im Bett zu bleiben und jedem aus dem Weg zu gehen. Die Bewohner des Zangres trugen immer noch Schwarz und Lavendel für Lord Dondo, und sie hielten ein schlichtes Mahl zu Ehren des Vaters ab, mit geistlicher Musik, doch ohne Tanz.
Der Eisregen hielt die ganze Woche an. Eines Nachmittags war Cazaril gerade damit beschäftigt, praktischen Nutzen und Unterricht zu verknüpfen, indem er Betriz und Iselle in der Buchführung unterwies, als ein scharfes Klopfen an der Zimmertür die zaghafte Stimme eines Pagen übertönte, der ankündigte: »Der Graf dy Palliar wünscht den Lord dy Cazaril zu sprechen.«
»Palli!« Cazaril wandte sich auf dem Stuhl um und erhob sich, wobei er sich mit einer Hand am Tisch abstützte. Freude zeigte sich auf den Gesichtern seiner beiden Damen, und frische Energie vertrieb den Ausdruck der Langeweile. »Ich hätte dich nicht so bald wieder in Cardegoss erwartet!«
»Ich auch nicht.« Palli verbeugte sich vor den Damen und bedachte Cazaril mit einem schiefen Grinsen. Er ließ eine Münze in die Hand des Pagen fallen und entließ ihn mit einem Nicken. Der Junge verneigte sich tief, um seinen Dank für die außerordentliche Höhe der Zuwendung auszudrücken. Dann flitzte er davon.
Palli fuhr fort: »Ich habe nur zwei Begleiter dabei und bin scharf geritten. Meine Einheit aus Palliar folgt in gemäßigterem Tempo, dass die Pferde nicht zu Schanden geritten werden.« Er blickte sich im Raum um und hob die breiten Schultern. »Bei der Göttin! Als ich das letzte Mal hier war, hätte ich nicht erwartet, dass meine Worte sich als prophetisch erweisen würden. Das läuft mir ja noch kälter den Rücken runter als dieser elende Regen!« Er warf einen nassen blauen Wollmantel ab. Darunter kam das blaue und weiße Gewand eines Ritters vom Orden der Tochter zum Vorschein. Bedächtig fuhr er sich mit der Hand durch das nasse schwarze Haar. Dann betrachtete er Cazaril und sagte: »Bei den Dämonen des Bastards, du siehst schrecklich aus!«
Gern hätte Cazaril darauf mit einem danke, gleichfalls geantwortet, aber dazu bot sich leider nicht der geringste Anlass. Stattdessen tat er die Bemerkung mit einer Handbewegung ab. »Es liegt am Wetter, nehme ich an«, sagte er. »Da wird jeder trist und träge.«
Palli trat zurück und musterte ihn noch eingehender von oben nach unten. »Am Wetter? Als ich dich zuletzt sah, hatte deine Haut noch nicht die Farbe von verschimmeltem Brotteig, und du hattest noch keine schwarzen Schatten unter den Augen wie eine gestreifte Felsenratte, und überhaupt warst du recht gut in Form. Nicht so bleich, verkniffen und dickbäuchig wie jetzt.«
Cazaril richtete sich auf, was ein schmerzhaftes Ziehen in seinen Eingeweiden zur Folge hatte, als Palli auf ihn zeigte und sich an Iselle wandte: »Hoheit, Ihr solltet Euren Schreiber zu einem Arzt schaffen!«
In plötzlichem Zweifel starrte Iselle auf Cazaril und legte die Hand vor den Mund, als würde sie ihn zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich anschauen. Was, wie er annahm, auch der Fall war. In den Wochen zuvor war ihre Aufmerksamkeit vollständig von ihren eigenen Problemen in Anspruch genommen gewesen. Betriz blickte von einem zum anderen und biss sich auf die Unterlippe.
»Ich brauche keinen Arzt«, sagte Cazaril entschlossen. Oder jemand anderen, der zu viel Fragen stellt.
»Das sagen alle, aus Angst vor Skalpell und Abführmittel«, tat Palli diesen Protest ab. »Den letzten meiner Sergeanten, der vom Reiten einen Furunkel bekam, musste ich mit vorgehaltener Klinge zum Bader treiben. Lasst Euch von ihm nichts einreden, Hoheit. Cazaril …« Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde nüchterner, und entschuldigend deutete er I selle gegenüber eine knappe Verbeugung an. »Könnten Cazaril und ich einen Moment unter vier Augen sprechen? Ich versichere Euch, Hoheit, ich werde ihn nicht lange in Anspruch nehmen. Ich kann ohnehin nicht lange bleiben.«
Ernst gewährte Iselle ihre königliche Erlaubnis. Cazaril erkannte rasch den Unterton in Pallis Stimme und führte ihn nicht in sein Arbeitszimmer, sondern die Treppe hinunter bis zu seinem Schlafgemach. Der Gang war leer – zum Glück. Fest verschloss Cazaril die schwere Tür hinter ihnen, um Lauschern keine Gelegenheit zu bieten. Die altersschwachen Geisterflecken behielten ihre Geheimnisse ohnehin für sich.
Cazaril nahm den
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