Chalions Fluch
zwischen den Welten einreißen können, und die Göttin hätte nicht zu uns herübergreifen und den Fluch zurücknehmen können. Dieser war ein Tropfen vom Blut des Vaters – so würde ich es jedenfalls umschreiben. Wie allerdings der Goldene Heerführer zu einer solchen Gabe kam, weiß ich nicht. Das ist natürlich nur eine Metapher. Tut mir Leid. Mir fehlen die Worte für das, was ich gesehen habe. Darüber zu reden ist so, als würde man einen Behälter aus Schatten weben, um Wasser darin zu befördern.« Und unsere Seelen sind ausgetrocknet. »Die Frühlingsherrin ließ mich durch Ihre Augen schauen, und auch wenn das zweite Gesicht von mir genommen wurde, sehen meine Augen doch nicht mehr auf dieselbe Weise wie früher …«
Der Erzprälat schlug die heiligen Zeichen. Paginine räusperte sich und merkte zaghaft an: »Tatsächlich, Lord Cazaril. Ihr habt nicht länger dieses gewaltige, strahlende Licht um Euch.«
»Nicht mehr? Das ist gut!« Eifrig fügte Cazaril hinzu: »Doch was ist mit dem schwarzen Schatten um Iselle und Bergon? Er ist ebenfalls fort, nicht wahr?«
»Ja, Herr. Mein Prinz, meine Königin – wenn ich bemerken darf: Der Schatten scheint sich vollständig gehoben zu haben.«
»Dann ist alles gut. Götter, Dämonen, Geister – die ganze Gesellschaft ist fort! Nun ist nichts Merkwürdiges mehr an mir«, verkündete Cazaril fröhlich.
Paginine verzog das Gesicht. »Ganz so weit würde ich nicht gehen, Herr«, murmelte er.
Der Erzprälat stupste ihn an und flüsterte: »Aber er sagt die Wahrheit, ja? So wirr es sich auch anhört …«
»O ja, Eminenz! Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.« Er tauschte einen beruhigenden Blick mit Cazaril und zeigte mehr Verständnis als der Erzprälat, der erstaunt und eingeschüchtert wirkte.
»Morgen«, verkündete Iselle, »werden Bergon und ich einen Dankeszug zum Tempel machen, und wir werden barfuß sein, um den Göttern unsere Dankbarkeit zu bekunden.«
Besorgt meinte Cazaril: »Oh, dann seid vorsichtig. Tretet nicht auf Glasscherben oder alte Nägel.«
»Wir werden während des ganzen Weges gegenseitig auf unsere Schritte achten«, versprach Bergon.
An Betriz gewandt warf Cazaril noch ein, während seine Hand über die Decke kroch und die ihre berührte: »Wisst Ihr, ich bin nicht länger heimgesucht. Das ist eine Erleichterung für mich, in mehr als einer Hinsicht. Sehr befreiend für einen Mann …« Seine Stimme wurde leiser und rau vor Erschöpfung. Ihre Hand drückte heimlich die seine.
»Wir sollten uns zurückziehen und Euch ruhen lassen«, befand Iselle, und in neu erwachter Sorge runzelte sie die Stirn. »Habt Ihr noch irgendeinen Wunsch, Cazaril? Was auch immer es ist.«
Nein, nichts, wollte er antworten. Stattdessen sagte er: »Ja, ich wünsche mir Musik.«
»Musik?«
»Ja, ein wenig ruhige Musik«, schlug Betriz vor. »Um ihn in den Schlaf zu wiegen.«
Bergon lächelte. »Kümmert Euch darum, Lady Betriz.« Die Menge zog sich zurück und trampelte lautstark auf Zehenspitzen hinaus. Der Heilkundige kehrte zurück. Er gab Cazaril ein wenig Tee zu trinken und ließ ihn im Gegenzug weiteren blutigen Urin ausscheiden. Diesen untersuchte der Arzt argwöhnisch im Kerzenschein, wobei er auf beunruhigende Weise vor sich hin brummte.
Nach einiger Zeit kehrte Betriz mit einem nervös aussehenden jungen Lautenspieler zurück, der so aussah, als hätte man ihn für diese Vorstellung aus dem tiefsten Schlummer gerissen. Doch er lockerte seine Finger, stimmte sein Instrument und spielte sieben kurze Stücke. Keines davon war das richtige, keines brachte die Herrin und Ihre Seelenblumen zurück – bis er eine achte Weise spielte, einen ineinander verflochtenen Kontrapunkt von unerreichter Süße. Darin fand sich ein schwacher Widerhall des Himmels. Cazaril ließ ihn dieses Stück noch zwei weitere Male spielen und weinte ein wenig, worauf Betriz erklärte, dass er zu müde sei und nun schlafen müsse. Sie führte den jungen Mann wieder fort.
Und Cazaril hatte noch immer keine Gelegenheit gehabt, ihr von ihrer Nase zu erzählen. Als er versuchte, dieses Wunder dem Arzt zu erklären, verabreichte dieser ihm einen großen Löffel Mohnblumensirup, worauf Cazaril tief und fest schlief.
Drei Tage später quoll keine duftende Flüssigkeit mehr aus seinen Wunden, und sie schlossen sich sauber. Der Arzt erlaubte Cazaril, dünnen Haferschleim zum Frühstück zu sich zu nehmen. Das belebte ihn ein wenig, und so bestand er darauf,
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