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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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zugleich und mit derselben Aufmerksamkeit, die sie einem einzelnen Ding zukommen ließen. Cazaril hatte es erlebt, durch die Augen der Herrin. Hätte er es länger als diesen einen Wimpernschlag ertragen müssen, wäre seine Seele auseinander gerissen worden. Noch immer fühlte er sich merkwürdig überdehnt. War dieser flüchtige Blick eine Gabe gewesen, oder nur ein Zufall?
    »Cazaril?«
    Eine zitternde Stimme. Die Stimme, auf die er gewartet hatte. Er blickte auf. Wenn der Kiesel schon erstaunlich war – Betriz’ Gesicht war außerordentlich. Schon der Anblick ihrer Nase war dazu angetan, ihn für Stunden in Verzückung zu versetzen. Sogleich ließ er den Kieselstein unbeachtet zurück.
    Tränen sammelte sich in ihren braunen Augen, und ihr Gesicht wurde bleich.
    »Da bist du ja«, sagte er glücklich. Seine Stimme war ein verzerrtes Krächzen. »Küss mich.«
    Sie schluckte, kniete sich hin, schob sich zu ihm und reckte den Hals. Ihre Lippen waren warm. Der Geruch ihres Mundes hatte keine Ähnlichkeit mit dem einer Göttin, doch es war der einer menschlichen Frau, und er war obendrein sehr angenehm. Cazarils Lippen waren kalt, und er presste sie auf die ihren. An jedem Tag seines Lebens war er von Wundern umgeben gewesen, und er hatte es nicht einmal gewusst.
    Behutsam nahm er schließlich den Kopf zurück. »Ihr könnt das Schwert herausziehen …«
    Männer bewegten sich rings um ihn; die meisten waren besorgte Fremde. Betriz rieb sich übers Gesicht, löste die Verschlüsse seiner Tunika, stand auf und wartete ab. Jemand griff nach Cazarils Schultern. Ein Page brachte ein gefaltetes Tuch, um es auf die Wunde zu pressen. Jemand anders hielt Verbandsstreifen bereit.
    Cazaril blinzelte unsicher. Betriz war hier. Also musste auch Iselle anwesend sein … »Iselle? Bergon?«
    »Ich bin hier, Lord Caz.« Iselles Stimme kam von der Seite.
    Sie bewegte sich, sodass er sie sehen konnte, und blickte ihn mit tiefer Besorgnis an. Während der Flucht hatte sie ihre schwer bestickten Übergewänder abgestreift; sie wirkte immer noch ein wenig atemlos. Sie hatte auch den schwarzen Umhang ihres Fluches abgelegt … war es nicht so? Ja. Sein inneres Auge verdunkelte sich allmählich, doch in dieser Hinsicht täuschte er sich nicht.
    »Bergon ist bei meinem Onkel«, fuhr sie fort. »Er hilft dabei, dy Jironals verbliebene Männer aus dieser Gegend zu entfernen.« Ihre Stimme war fest, wenngleich ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
    »Der dunkle Schatten hat sich gehoben«, teilte Cazaril ihr mit. »Von Euch und Bergon. Von jedem.«
    »Wie?«
    »Ich erzähle Euch alles darüber, wenn ich überlebe.«
    »Cazaril!«
    Kurz grinste er über die vertrauten Kadenzen, die seinen Namen begleiteten.
    »Also werdet Ihr überleben!« Iselles Stimme zitterte. »Ich … ich befehle es Euch!«
    Dy Tagille kniete vor Cazaril nieder.
    Cazaril nickte ihm kurz zu. »Zieht das Schwert heraus.«
    »Gerade und gleichmäßig, Lord dy Tagille«, wies die Prinzessin ihn angespannt an. »Ihr dürft ihn nicht noch schlimmer schneiden.«
    »Gewiss, Hoheit.« Besorgt leckte dy Tagille sich die Lippen und fasste nach dem Schwertgriff.
    »Vorsicht«, stieß Cazaril hervor. »Aber nicht ganz so langsam, bitte …«
    Die Klinge kam heraus. Ein warmer Schwall Flüssigkeit spritzte aus der Wunde. Cazaril hatte gehofft, das Bewusstsein zu verlieren, doch er schwankte nur, als Tücher gegen ihn gedrückt und festgehalten wur den. Er starrte nach unten und erwartete, seinen Schoß von Blut überspült zu finden, doch er sah kein Rot, sondern eine klare Flüssigkeit, die nur einen Hauch Rosa zeigte. Das Schwert muss mein Geschwulst aufgeschnitten haben. Und das war letztendlich doch nicht, wie es den Anschein hatte – der Bastard möge Rojeras dafür braten, dass er mir diesen Albtraum eingeredet hat! – mit einem abscheulichen dämonischen Fötus angefüllt. Zumindest nicht mehr, versuchte Cazaril den Gedanken zu unterdrücken.
    Erstauntes Murmeln durchlief den Kreis der Beobachter, als der Duft himmlischer Blüten aus seinen Absonderungen stieg und die Luft erfüllte.
    Cazaril selbst ließ sich in die Arme seiner eifrigen Helfer sinken, schlaff und ohne Widerstand. Er schaffte es, verstohlen den Kieselstein aufzuheben, bevor die hilfsbereiten Hände ihn die Treppen hinauf zu seiner Schlafkammer trugen. Sie waren aufgeregt und ängstlich, doch ihm war wundervoll entspannt zu Mute. Wie es schien, machte man sich übertriebene Sorgen um ihn, wie

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