Chalions Fluch
»Vielleicht nicht! Du weißt ja, wie es beim Reisen ist: Man packt seine Sachen in die Satteltaschen, und am Ende der Reise scheinen sie doppelt so viel Platz einzunehmen und hängen überall heraus, auch wenn man schwören könnte, dass nichts hinzugekommen ist …« Er klopfte auf seinen Oberschenkel. »Womöglich passe ich nicht mehr so ordentlich in diese übel zugerichtete alte Hülle wie früher.«
Fragend schüttelte Palli den Kopf. »Und deshalb hängen überall diese Gedichte heraus.«
Nach zehn weiteren Tagen der Erholung war Cazaril die Ruhe immer noch nicht leid. Doch bei aller Bequemlichkeit vermisste er die Menschen, die ihm am Herzen lagen. Schließlich überwand die Sehnsucht nach ihnen den Abscheu vor dem Reiten, und er forderte Palli auf, ihre Reise vorzubereiten. Pallis Proteste gegen diese verfrühte Anstrengung waren nur halbherzig und leicht aus der Welt zu schaffen, da er nicht weniger besorgt war als Cazaril, wie sich die Dinge in Cardegoss entwickelten.
Cazaril und seine Eskorte, zu der auch die stets ge treuen Ferda und Foix gehörten, ritten in kleinen E tappen die Straße entlang, bei schönem Wetter – Welten entfernt von der verzweifelten Reise des Winters. An jedem Abend musste Cazaril sich vom Pferd helfen lassen und nahm sich fest vor, dass er es am folgenden Tag langsamer angehen ließ. Und doch war er mit jedem neuen Morgen begieriger darauf, voranzukommen. Schließlich erhob sich ein weiteres Mal in der Ferne der Zangre vor ihm; er wirkte vor dem Hintergrund flauschiger weißer Wolken, vor dem blauen Himmel und grünen Feldern wie ein schmuckvolles Ornament in der Landschaft.
Einige Meilen außerhalb von Cardegoss kam ihnen auf der Straße eine andere Reisegesellschaft entgegen. Männer in der Livree des Herzogs von Labran begleiteten drei Wagen und eine nachfolgende Reihe von Maultieren und Dienstboten. Zwei Fahrzeuge waren mit Gepäck hoch beladen. Am dritten Wagen war das Verdeck aus Segeltuch an den Seiten aufgerollt und gab den Blick auf die Frühlingslandschaft frei. Im Schatten der Plane saßen mehrere Damen.
Der Wagen rollte an die Seite der Straße, und eine Zofe lehnte sich heraus und rief einem der Flankenreiter etwas zu. Der Unteroffizier aus Labran beugte den Kopf zu ihr hinunter; ritt dann zu Palli und Cazaril und begrüßte sie.
»Verzeiht, edle Herren, wenn einer von euch der Kastellan dy Cazaril ist, so wünscht … so bittet«, verbesserte er sich, »meine Herrin, die Königinwitwe Sara ihn, ihr Gesellschaft zu leisten.«
Der amtierende Herzog von Labran, erinnerte sich Cazaril, war ein Neffe der Königin Sara. Er schloss daraus, dass er soeben Saras Umzug – oder Rückzug – auf die Güter ihrer Familie in Labran miterlebte. Er erwiderte den Gruß. »Ich stehe Ihrer Majestät gern zu Diensten.«
Foix half Cazaril vom Pferd. Stufen wurden hinten am Wagen ausgeklappt, und die Zofen und Dienstmädchen stiegen herab. Gemeinsam schlenderten sie über das benachbarte, brachliegende Feld und suchten nach wilden Frühlingsblumen. Sara blieb im Schatten der Segeltuchplane sitzen. »Willkommen, Kastellan«, sagte sie sanft. »Ich freue mich über diese zufällige Begegnung. Könnt Ihr einen Augenblick bei mir verweilen?«
»Es ist mir eine Ehre, Majestät.« Er zog den Kopf ein und kletterte auf den Wagen. Dort setzte er sich auf die gepolsterte Bank ihr gegenüber. Die Maultiere mit dem Gepäck stapften an ihnen vorüber. Friedliches, fernes Gemurmel hüllte die Szene ein – eine Mischung aus Vogelzwitschern, klirrenden Zügeln, dem Hufschlag von den Pferden, die abseits der Straße zum Grasen geführt wurden, und dem gelegentlichen Auflachen der Dienstmädchen.
Sara trug ein schlicht geschnittenes Kleid und eine Marlotte in Lavendel und Schwarz, vermutlich aus Trauer für den unglücklichen, dahingegangenen Orico.
»Ich bitte um Vergebung«, sagte Cazaril mit respektvollem Unterton, »dass ich nicht bei der Bestattung des Königs zugegen war. Aber ich hatte mich noch nicht genug erholt, als dass ich die Reise hätte unternehmen können.«
Sara winkte ab. »Nach dem, was Iselle, Bergon und Lady Betriz mir erzählt haben, ist es ein Wunder, dass Ihr Eure Verletzungen überlebt habt.«
»Nun, ja … so ist es.«
Sie schenkte ihm einen seltsam verständnisvollen Blick.
»Orico hat also sichere Aufnahme gefunden?«, fragte Cazaril.
»Ja. Die Götter haben ihn im Tod ebenso zurückgewiesen wie zu Lebzeiten. Bedauerlicherweise hat das einige unangenehme
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