Champagner-Fonds
Klima und die Rebsorten, auf diesem Gebiet war er unschlagbar und fühlte sich sicher. Aber wusste sie das nicht alles längst?
»Ich habe seit etlichen Jahren kaum etwas damit zu tun gehabt«, meinte sie, als wolle sie sich dafür entschuldigen, »genau genommen seit ich von zu Hause fortgegangen bin. Aber es ist wie beim Schwimmen oder Radfahren, wenn man es einmal kann, verlernt man es nie.«
Was hatte sie vorhin gesagt? Philipp konnte sich an nichts erinnern, er hatte nicht zugehört, hatte lediglich Augen für sie gehabt, für die schönen Lippen, die sie jetzt nervös bewegte, für ihre großen Hände, das dunkle Haar, und er wurde gewahr, dass er mit seinen Gedanken schon wieder woanders war.
»Ich habe meine Kinder großgezogen und meinem Exmann in seiner Firma geholfen. Wir hatten das Büro im Haus, er hatte einen Textilimport.«
»Mit Wein hatten Sie dann weniger zu tun?«
»Nur wenn ich meine Eltern besucht habe, mit den Kindern in den Ferien. Natürlich haben wir auch unsere Weine getrunken. Ansonsten kenne ich mich ein wenig mit Champagneraus, durch eine Freundin. Sie kennen die Gegend gut?«
Helena Schilling drehte sich suchend um, betrachtete die Großfotos der Weingüter an den Wänden und zeigte auf eines aus der Champagne. »Die Kirche kenne ich, da war ich schon.« Sie lächelte, doch als sie bemerkte, dass sein Lächeln nicht den Fotos sondern ihr galt, erschrak sie. »Das, das ist doch Moussy – oder?«
Philipp hatte das Foto an einem frühen Abend gemacht, bei niedrig stehender Sonne, als ihre Strahlen einen roten Schimmer auf die jungen Blätter der Weinstöcke legten. Alle Fotos an den Wänden stammten von ihm, an jeden Moment einer Aufnahme konnte er sich erinnern, auch an jenen, als er die wuchtigen Dentelles de Montmirail fotografiert hatte, davor die Domäne ihres Lieferanten. Das Dorf Châteauneuf-du-Pape lag da am Hang eines Felshügels. Die Weingärten Savoyens und die Berge dahinter verbargen sich im Nebel, und die Provence glühte während der Weinlese unter einem stahlblauen Himmel. Das Bild der Domaine Richmonde mit dem Winzer Robert, einem Freund, inmitten der Reben des Languedoc, gefiel ihm besonders. Philipps Gesicht strahlte, und er geriet ins Schwärmen. So ließ sich der Überschwang des Gefühls, das ihn bei ihrer Anwesenheit ergriffen hatte, in unverfängliche Bahnen lenken. Er zeigte auf die Abtei von Saint-Hilaire bei Carcassonne, wo die Benediktiner bereits hundertfünfzig Jahre vor Dom Pérignon die
prise de mousse
, die sogenannte Schaumweinbildung, entdeckt hatten. Einige weiße Rebsorten, genannt Blanquette, hatten die Eigenschaft, nicht in einem Zug durchzugären. Wenn dann die Temperatur im Frühjahr wieder stieg, lebten die übrigen Hefebakterien in der Flasche auf, vergoren den Restzucker und bildeten Kohlensäure. Das nannte man die
méthode ancestrale
im Gegensatz zu der in der Champagne gebräuchlichen
méthode champenoise
, bei der dem durchgegorenenWein sowohl Zucker wie auch Hefe zugesetzt wurden, worauf die Flaschengärung einsetzte.
Die Aufnahme von einem Nachmittag am Mittelmeer in Collioure begeisterte Philipp genauso, wie der Ort mit seinem wunderbaren Licht einst Henri Matisse inspiriert hatte, und die Aufnahmen von Bordeaux, von Saumur, dann ein Schloss an der Loire, die Hospices de Beaune im Burgund.
Helena hatte sich von der Begeisterung mitreißen lassen, und sie lächelte Philipp offen an. »Sie lieben Wein, nicht wahr?«
Philipp brach seufzend seine schwelgerische Tour ab und landete wieder auf dem Teppich. »Lieben, bewundern, schätzen – es sind Worte für ein Gefühl, das immer stärker wird, je mehr man sich damit beschäftigt. Es ist allerdings auch ein profaner Broterwerb.«
»Profan? Das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie sollten sich mal mit meinem Vater darüber unterhalten; es würde ihm Freude machen, Ihnen sein Weingut zu zeigen. Er schätzt Menschen, die genießen können und sich die Zeit dazu nehmen. Sie sind ungefährlich. Vielleicht treffen Sie ihn ja mal. Auch der Kaiserstuhl bringt wunderbare Gewächse hervor, aber ich merke es schon, Sie sind ziemlich frankophil.«
»Da werden Sie sich drauf einstellen müssen. Wir sind hier alle frankophil. Je mehr man seine Arbeit mag, desto besser wird sie.«
Philipp kontrollierte sämtliche Türen, als sie gingen. Obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, jemals derartig verwirrt gewesen zu sein wie heute, hatte er es nicht vergessen. Er besaß alle Schlüssel, denn er
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