Champagner-Fonds
während er sich auf die Suche nach dem nächsten Taxistand machte, erinnerte er sich, dass Langer mit Aufträgen aus der Stadtverwaltung rechnete, die mit seinem Wein offizielle Events bestücken wollte. Hatte er jemanden geschmiert, um an die Aufträge zu kommen? Philipp wusste gar nicht, wieso ihm dieser Unsinn in den Kopf kam. Er merkte, dass es ihm nicht guttat, weiter über derartige Fragen zu grübeln.
Endlich kam ein Taxi. Die Innenstadt war verstopft wie immer. Bis nach Marsdorf benötigte der Fahrer eine Dreiviertelstunde. Mit dem Rad wäre Philipp schneller gewesen. Als der Wind aufkam, war er längst in der Firma. Es war schwül, mittlerweile drückend warm, viel zu warm für die Jahreszeit. Er betrat sein Büro und erinnerte sich an Helena Schilling, weniger an ihr Aussehen, auch nicht an ihr Gesicht, aber an die Verwirrung, in die ihr Anblick ihn gestürzt hatte, diese Mischung aus Freude und Angst, aus Beklemmung und Verlangen. Dieser Tag war schrecklich, nichts würde am Abend so sein wie am Morgen. Alles komplizierte sich, sein Alltag, sein Beruf, seine Stellung bei France-Import. Und zu diesem Gefühl, von den Ereignissen mitgerissen zu werden, gesellte sich ein leichter Schmerz, wie bei einem Abschied, wenn der Zug auf dem Bahnhof anrollte und man die Hand zum Winken hob ...
»Der Lastwagen aus Bandol ist noch nicht aufgetaucht.« Der Lagerleiter war eingetreten, wie üblich auf leisen Sohlen, auf denen er wie ein Geist im Lager umherschlich und jede Kiste in Augenschein nahm, deshalb nannten sie ihn »den Wächter des flüssigen Schatzes«. Auf dieses Bild hatte Thomas ihn gebracht, als er dem Mann zum ersten Mal begegnet war.
»Auch von dem Fahrer fehlt jede Spur, sagt der Disponentder Spedition. Sie suchen nach Fahrern, die ihn zuletzt gesehen haben. Man glaubt, dass er bestochen worden ist, um die Fracht woanders abzuladen – oder er wurde überfallen. Es wäre nicht das erste Mal. Die Zeiten werden rauer. Mit den Frachtpapieren ist alles in Ordnung. Was sollen wir tun?«
Philipp zuckte mit den Achseln. »Nichts. Tue nichts – und alles ist getan. Was würden Sie machen? Den Lastwagen zu finden ist Sache der Polizei. Ja, die Zeiten werden rauer und die Methoden härter. Und Frankreichs Behörden mahlen zu langsam.« Philipp trat ans Fenster, der Lagerleiter stand hinter ihm und erwartete Anweisungen. »Wir werden unsere Kunden informieren, wir werden das weitergeben, was man uns gesagt hat. Schreiben Sie es am besten gleich auf, ich mache dann einen Brief daraus.«
Der Lagerleiter zog den Kopf ein, da erinnerte sich Philipp daran, dass ihm das Schreiben mehr als Kopfschmerzen bereitete. Er war nicht dumm, er fand sogar bei absoluter Finsternis im Lager jede Flasche, es spielte keine Rolle, wann sie eingelagert worden war, und er kannte den genauen Bestand. Aber ein Schriftstück aufzusetzen lag ihm nicht, und Philipp akzeptierte das. »Besser Sie kommen nachher vorbei, und ich notiere alles.«
Sichtlich erleichtert zog sich der Lagerleiter leise zurück. Nicht einmal das Klappen der Tür war zu hören. Dafür spürte Philipp dieselbe Beklemmung in der Brust wie am Vormittag, was ihm die Laune endgültig verdarb. Um sich nicht weiter darüber zu ärgern, dass er die Lieferung aus Bandol vergeigt hatte, was ja wirklich nicht seine Schuld war, ging er hinüber zu der Kollegin, die für die Werbung und für den Druck der Kataloge zuständig war. Er fragte sie, ob Schwenke neuerdings die entsprechenden Aufträge erhielt, was die Kollegin verneinte, und auch sonst arbeite man nicht mit Schwenke zusammen. Aus welchem Grund war Langer dann hingefahren?
Die Frage beschäftigte Philipp nur, bis er die Stimme von Helena Schilling auf dem Flur hörte. Seine Laune sank noch weiter, als er sich klarmachte, dass er sich zurückhalten musste, denn sie war immerhin Langers Sekretärin. Doch wie sollte er sich über seine Gefühle hinwegsetzen, wenn er, wie heute Vormittag, ständig ihren Blick suchte?
Kurz vor Feierabend betrat sie Philipps Büro, und ihm schlug das Herz bis zum Hals. Er hoffte, dass er es überspielen konnte, am Vormittag hatte es auch niemand bemerkt. Meine Güte, wie albern ich bin, dachte er und empfand seine Gefühlsduselei als lächerlich, und so bemühte er sich um Sachlichkeit. Er hielt Helena Schilling einen Vortrag über die Weine von France-Import und deren Herkunft, er sprach über Qualitäten, über die Winzer und die Philosophie des Terroirs, erwähnte den Boden, das
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