Champagner-Fonds
arbeitete oft am Wochenende, schrieb Berichte, holte sich Proben aus den Klimaschränken, um sie erneut zu probieren und sich mit ihrem Lebenszyklus nach dem Entkorken vertraut zu machen.
Helena lief vor ihm über den Parkplatz, als die erstenRegentropfen fielen. Hätte sie bei diesem Namen nicht blond sein müssen? Aber Homers Helena war sicher schwarzhaarig gewesen. Als sie sich nach Philipp umdrehte und ihn im Anzug zu seinem Fahrrad gehen sah, fragte sie ihn, ob sie ihn nicht nach Hause bringen sollte, er würde klatschnass dort ankommen.
»Reizend von Ihnen, aber ich habe es nicht besonders weit, und ein wenig Regen schadet nicht.«
»Was verstehen Sie unter ›besonders‹? Sie werden sich erkälten, und der Anzug muss in die Reinigung. Ich fahre einen Kombi, wir können Ihr Rad mitnehmen.«
Philipp ließ sich nicht davon abbringen, durch den Regen zu fahren. Er brauchte ihn heute mehr denn je. Wie hatte sie das mit ihrem Vater gemeint? Konnte er das als Zeichen von Sympathie verstehen, oder war es reine Höflichkeit gewesen?
4
»Du bist ja nicht bei Trost!« Philipp blieb erschrocken in der Küche stehen und sah seinen Sohn entsetzt an. »Weißt du, was das bedeutet, was das für eine Entscheidung ist?« Ihm war bei Thomas’ Eröffnung fast das Küchenmesser aus der Hand gefallen, mit dem er die äußeren Blätter des Chicorées entfernt hatte. »Wieso kommst du jetzt darauf, am Ende des sechsten Semesters? Noch zwei Jahre, und du hast dein Examen in der Tasche, einen akademischen Titel. Du schneidest dir damit ins eigene Fleisch, du wirfst drei Jahre deines Lebens weg, drei Jahre einer guten Ausbildung.«
»Seit wann gibst du was auf Titel?«, fragte Thomas mit gespieltem Erstaunen. »Eine gute Ausbildung, sagst du? – Ich soll mich weiter in überfüllte Hörsäle quetschen und mir von genervten Professoren Theorien anhören, die kaum was mit der Wirklichkeit zu tun haben? Wenn sie Seminare über Korruption und Bestechung anbieten würden, dann vielleicht – aber so? Nee, mir langt’s, verstehst du? Außerdem habe ich an der Uni genug gelernt.«
»Das meinst du!«
»Nein! Von dir habe ich gelernt, dass man Entscheidungen selbst treffen soll, dass man Verantwortung übernehmen muss, du regst dich über die Leute auf, über deine Kollegen, die sich alles sagen lassen wollen und gleichzeitig über Langers Anordnungen meckern. Mir jedenfalls reicht’s. Und erinnere dich an dein Gerede von gestern, an das, wasdu über die Zocker in den Banken und in der Wirtschaft gesagt hast. Und wenn meine Kommilitonen bereits genauso denken, wenn sie mit dieser Mentalität ihr Studium aufgenommen haben, dann habe ich ...«, das betonte er besonders, »... dann habe ich da nichts verloren.«
»Es kommt darauf an, was man für sich selbst aus einem Studium zieht. Studieren heißt selbst lernen. Und wieso rückst du erst heute damit raus?«
»Heute – morgen, übermorgen, ist das nicht egal? Das Semester ist sowieso zu Ende. Außerdem weiß ich gar nicht, weshalb du dich erst jetzt aufregst. Ich wollte dir das bereits gestern Abend sagen, aber du warst so in Brass, dass du mich gar nicht zu Wort hast kommen lassen, du hast nicht zugehört. Werden die Lachsfilets nun gesalzen und gepfeffert, bevor sie in die Kasserolle kommen oder erst, wenn sie gedünstet sind?« Thomas blickte seinen Vater an, als sei die Debatte für ihn damit beendet.
Es war das gleiche Gesicht, das Philipp in ähnlichen Situationen aufsetzte, und er verkniff sich das Lächeln. Wenn er sich selbst in seinem Sohn sah, war er entwaffnet. Er liebte ihn, er liebte diese Art, Entscheidungen vorzubringen und seine Interessen so entschieden durchzusetzen. Er war sich sicher, dass Thomas erst nach reiflicher Überlegung zu diesem Entschluss gekommen war. Philipp ahnte, dass jeder Widerstand dagegen zwecklos war.
Fahrig griff er nach dem Kochbuch für Champagnergerichte und schlug die entsprechende Seite auf:
» Déposez un lit d’endives , salez et poivrez légèrement, répartissez les échalotes ciselées puis les fi lets de saumon et ...« –
also wurden die Lachsfilets vorher gesalzen und gepfeffert.
Die Eröffnung, dass Thomas die Betriebswirtschaft zugunsten einer Lehre als Winzer aufgeben wollte, hatte Philipp aus dem Konzept gebracht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Thomas gestern davon geredet hatte. »Wann hast du mir davon erzählt?«
Thomas dachte kurz nach. »Na abends, nach deinem Sermon über die Banken. Der hat
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