Champagner-Fonds
...«
»Philipp hat erzählt, Sie hätten zwei Töchter. Wieso leben die nicht bei Ihnen?«
Diese Frage ging Philipp zu weit. »Bist du nicht ein wenig indiskret, Thomas?«
»Lassen Sie ihn fragen«, Helena schüttelte den Kopf. »Meine Töchter ...« Sie hielt inne und fuhr sich mit den Fingern über die Stirn, »... sie leben seit unserer Trennungbeim Vater. Ich war ihnen immer zu – sagen wir mal – bäuerlich.«
Thomas wagte einen abschätzenden Blick. »So finde ich Sie gar nicht. Außerdem – was bedeutet ›bäuerlich‹?«
»Sie werden es erfahren, wenn Sie die Lehre beginnen.«
Während des Essens fragte Thomas sie all das, was Philipp sich noch nicht zu fragen traute, was ihn aber doch sehr interessierte, und dazu gehörte ihr Wissen um Champagner.
»Früher gehörte das Weingut meinen Großeltern, zu Zeiten des Krieges. Sie hatten einen Zwangsarbeiter aus Frankreich zugeteilt bekommen. Der Mann stammte aus der Champagne und war Winzer, er hieß Émile. Mein Großvater hat viel von ihm gelernt und ihn immer gut behandelt, wie jemanden aus der Familie. Sie wurden Freunde. Die Nachbarn haben ihn deshalb kurz vor Kriegsende denunziert, die Gestapo hat Großvater verhaftet, aber glücklicherweise nach zwei Wochen wieder freigelassen. Und bevor sie Émile in ein Lager steckten, hat mein Großvater ihm zur Flucht verholfen. Der Kaiserstuhl liegt direkt an der Grenze. Das hat ihre Freundschaft nur vertieft, sie setzt sich über Generationen fort; ich habe den alten Émile noch kennengelernt, dann seine Kinder und deren Kinder. Heute leitet Émiles Enkelin das Weingut.«
»Ich möchte Sie noch etwas fragen, was meinem Vater auf dem Herzen liegt, was er sich aber nicht zu fragen traut ...«
»Thomas!«
Philipps Ordnungsruf führte zu nichts, Helena lächelte nachsichtig, wie Eltern es bei den Kindern anderer Leute tun.
»Wie gefällt es Ihnen in der Firma? Sie sind Langers Sekretärin, der Ersatz für Frau Maheinicke.«
»Sie kennen ihn?«
»Gut sogar, beide, seit mein Vater bei France-Import angefangenhat. Langer war meistens gut drauf, das hat mir gefallen, aber in letzter Zeit ist er ziemlich daneben ...«
Helena entging nicht, dass Philipp seinen Sohn mit einem Blick zum Schweigen bringen wollte.
Thomas kümmerte das nicht. »Sie muss wissen, was da läuft, Papa. Wie soll sie sich orientieren und entscheiden, ob sie bleiben will, wenn sie nicht durchblickt?« Er wandte sich wieder Helena zu. »Wissen Sie von dem Fonds, und dass die Firma erweitert werden soll? Was halten Sie davon?«
»Ich werde mir nach den wenigen Tagen kein Urteil erlauben. Gibt es denn daran was auszusetzen?« Helena ging vorsichtig auf Abstand. »Alle Firmen sind bestrebt, zu wachsen, nicht wahr, Herr Achenbach?«
»Es können nicht alle wachsen.« Thomas machte ein triumphierendes Gesicht. »Ich werde Ihnen auch den Grund erklären. Wenn France-Import wächst, muss sie anderen Importeuren Umsatz wegnehmen.«
»Das ist nicht gesagt ...«, wandte Helena ein und suchte bei Philipp Unterstützung. Aber die kam nicht.
»Das funktioniert nur, wenn der Markt auch wächst. Aber die Nachfrage bleibt gleich, es trinken nicht mehr Leute Wein, dafür kaufen sie mehr in Billigläden. Wenn France-Import wächst, geht ein anderer kaputt, ihr übernehmt seine Kunden, rationalisiert den anderen Laden und werft die Leute raus.«
»Ja, aber das sind die der anderen Firma, nicht wir ...«
»Ach, und das ist Ihnen egal?« In diesem Moment verlor Helena bei Thomas einen Teil der gewonnenen Sympathie. »Wenn es irgendwann nur noch einen Weinimporteur gibt, der die Preise diktiert? Die Rohstoffe sind begrenzt, der Boden auch, Energie wird immer teurer, das Wasser wird knapp, also muss man andere verdrängen – oder das System ändern.«
»Wir haben auch so gedacht, früher, im Studium«, unterbrach Philipp vermittelnd, dem die Peinlichkeit dieserSchlussfolgerung durchaus klar war. Das Gespräch nahm eine ungute Richtung. Er teilte zwar Thomas’ Meinung, aber hielt damit zurück, weil sie zu nichts als zu Differenzen führte. Zum Glück deutete Thomas den teils flehentlichen, teils auffordernden Blick seines Vaters richtig und beendete die Debatte.
»Kinder halten einen in Bewegung.« Helena sah Thomas nach, als er in den Wagen stieg, um einen Freund abzuholen, mit dem er zu einem Vortrag in die Innenstadt wollte. »Ohne sie gerät man schnell in eingefahrene Bahnen, umgibt sich nur noch mit Leuten, die ähnlich
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