Champagner-Fonds
Wahrscheinlich lag sein gesamter Krempel auf einem Haufen im Kleiderschrank. Wenn er Helena seine Räume zur Besichtigung anbot, musste sie ihm extrem sympathisch sein.
Philipp schützte Küchenarbeit vor und verzog sich. Als er den Deckel des gusseisernen Schmortopfes anhob, stieg ihm der Duft des Champagners entgegen: ein Blanc de Noirs, nur aus Pinot noir gekeltert. Philipp nahm diesen Champagner häufig zum Kochen, er war der kraftvollste. Das Perlhuhn war im Olivenöl bereits leicht gebräunt. Er nahm es heraus, um die Melange aus Crème fraîche, dem Senf aus Reims und dem gehackten Estragonzweig im Topf zu verrühren. Seit er sich mit Kräuterkunde beschäftigte, wurde er von Thomas belächelt, der auf den Zusammenhang zwischen der harntreibenden und verdauungsfördernden Wirkung des Estragons und seinem Alter hingewiesen hatte.
Nach einer Weile kam Helena wieder herunter, das Klappern hoher Absätze hatte Philipp in diesem Hause lange nicht gehört. Thomas’ Freundin schlich meist in Turnschuhen die Treppe hinauf. Thomas betrat nach ihr die Küche,und als würden beide sich seit Längerem kennen, drückte er ihr Teller und Besteck in die Hände und wies sie an, wie sie den Tisch zu decken hatte. Überrascht führte sie seine Anweisungen aus. Er sagte ihr, welche Gläser sie zu den Gedecken stellen sollte und in welcher Schublade die Serviettenringe lagen. Es waren Zeichen der Akzeptanz. Als er in den Weinkeller abtauchte, trat Helena zu Philipp.
»Ihr Sohn weiß ziemlich genau, was er will, nicht wahr? Hat er das vom Vater?«
Philipp brummte nur und blieb die Antwort schuldig.
»Er will Winzer werden«, sagte sie, »er hat gefragt, was ich davon halte. Ich finde das natürlich gut. Ich wäre es heute gern selbst. Ich habe ihm vorgeschlagen, erst die Lehre zu machen; wenn er anschließend studiert, lässt er sich von den Professoren nicht irre machen – vorausgesetzt, Sie haben die Mittel, das Studium zu finanzieren.« Sie sah sich in der Küche um, die mindestens zehntausend Euro gekostet hatte. »Aber davon gehe ich aus.«
»Weshalb haben Sie es nicht getan, ich meine, weshalb haben Sie nicht mit Ihren Eltern gearbeitet?« Philipp begann mit der Vorbereitung der Beilagen.
Sie schaute zu Boden, als würde sie mit den Augen einer Ameise auf ihrem Weg von der Terrasse ins Wohnzimmer folgen. »Es ist eine lange Geschichte, die kurz erzählt ist: Ein Grund war die Dominanz meines Vaters, ein anderer, dass ich meine Kinder sehr früh bekam, im Abstand von einem Jahr. Damit waren die Weichen gestellt. Mein Mann, mein – äh – Exmann stammt hier aus Köln, und ihm behagt das Landleben kaum, gelinde gesagt. Ich war jung damals, bis über beide Ohren verliebt, Sie wissen ja, wie das so ist, also ging ich mit ihm. Es gab noch andere Gründe, aber das zu erzählen, würde zu weit führen ... Wenn man sich allerdings für den Beruf des Winzers entscheidet, dann muss es ganz sein, mit Haut und Haar. Die Konkurrenz ist gewaltig, es gibt keine geregelten Arbeitszeiten, weder sommers nochim Winter. Und es kommt einem so viel in die Quere, was man nicht selbst entscheidet.«
»Und das wäre?« Thomas war aus dem Keller zurück, er hatte einen Pouilly Fumé von der Loire und einen Champagner mitgebracht. Den Weißwein stellte er in den Kühlschrank, den Champagner in den Sektkühler. Dann setzte er das Wasser für die Fettuccine auf, wobei er aufmerksam zuhörte.
»Das Wetter! Mal zu viel Regen, mal zu viel Sonne, Frost im Frühjahr, ein ekliger Herbst, dann die eingebildeten Kunden, der undurchsichtige Markt, das leidige Finanzamt, die Wirtschaftslage, die neidischen Nachbarn, kranke Angestellte, die Spedition, die nicht kommt ...«
Philipp erinnerte sich, dass die Sache mit dem verschwundenen Lkw noch immer nicht geklärt war.
»... dann die Mitarbeiter, die Hilfskräfte während der Lese, die Banken. Es reicht heutzutage längst nicht, einen guten Wein zu machen. Man muss ihn auch verkaufen, solche Leute wie Ihr Herr Vater müssen überzeugt werden, Herr Langer muss überzeugt sein, man muss Werbung machen. Das alles gehört dazu. Wenn Sie so ein Leben wollen? Mich hat am meisten abgeschreckt, dass wir in den Ferien nie verreist sind und immer helfen mussten. Ich war damals heilfroh, endlich von zu Hause wegzukommen.«
»Und heute?«, wollte Thomas wissen.
Helenas Blick wandte sich ganz nach innen, sie machte eine lange Pause. »Heute? Da sehe ich es genauso und auch wieder ganz anders
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