Champagner-Fonds
Einzelblüten kaum ausgeprägt. Ein derart miserables Wetter und eine Kälte wie gestern schädigten die Keimkraft der Pollen, und in vielen Blüten wuchsen Eizellen heran, die nicht befruchtet werden konnten. Daher würden sich weniger Beeren entwickeln. Man befand sich in einer kritischen Phase. Aber nach dieser Phase kam die nächste kritische Phase: vielleicht ein verregneter Sommer, und die nächste Phase brachte zu große Hitze. Gleichmut oder Gottvertrauen waren für den Beruf des Winzers unabdingbar, beides half gleichermaßen. Wer nichts davon besaß, wechselte besser in die chemische Industrie.
Philipp musste sich bewegen, denn seine Ungeduld und sein Unwille wuchsen, sich mit diesem Touraine zu arrangieren. Von allen Produzenten der Champagne kannte er lediglich einen Bruchteil. Statt untätig herumzusitzen und zu warten, könnte er Winzer aufsuchen, von denen er wusste, dass sie an den Fonds verkauften, und deren Champagner von France-Import vertrieben wurden. Ob sie mit ihm reden würden, hing davon ab, wie er ihnen sein Interesse präsentierte.
Kaum war er auf dem Weg nach Le Mesnil-sur-Oger, läutete sein Telefon. Es war Touraine. Philipp schaute aufdie Rufnummer, er wollte sie speichern, die Anzeige jedoch war unterdrückt.
»Monsieur Achenbach?
Très bien
, sehr gut, dass ich Sie erreiche. Man hat mir gesagt, Sie wünschten mich zu sprechen. Worum geht es?« Es war dieselbe Stimme wie gestern am Telefon, es war ohne Zweifel der Mann aus dem »Hirschen«. Er hörte sich kurz Philipps Anliegen an und meinte dann schroff: »Wir haben für Besichtigungen keine Zeit, wir arbeiten dort.«
Philipp zögerte, verwirrt von seiner unfreundlichen Art. »Wurden Sie nicht von Monsieur Langer informiert?«
»Doch, sicher. Und weiter?«
Mit diesem Mann war kein Auskommen. Aber ohne ihn würde Philipp die Keller in Villers-Allerand nicht betreten, also musste er sich auf ihn einstellen.
»Einen Moment bitte, ich muss halten, ich bin auf der Landstraße.
»Bemühen Sie sich nicht. Ich habe heute wenig Zeit, höchstens am Nachmittag vielleicht, aber dann auch nur für eine Stunde.«
»Wie stellen Sie sich das vor?« Philipp zwang sich zur Ruhe, dabei wurde er zunehmend ärgerlich. Was hatte Langer ihm da aufgehalst?
»Sie sollen, so wurde ich informiert, unsere Weine nur verkaufen. Das ist alles!
C’est tout
«, wiederholte er eindrücklich, als dulde er keinen Widerspruch. »Und da ich die Verantwortung trage, werden Sie sich nach mir richten.«
»Ich verkaufe nichts, was ich nicht kenne«, sagte Philipp ruhig.
» C’est tout.
« Der Mann würde sich an ihm die Zähne ausbeißen. Gleichzeitig begriff er, dass es unsinnig war, sich mit Touraine zu streiten. »Um wie viel Uhr?«
»Das lässt sich jetzt noch nicht sagen.«
»Wann denn? Sie werden es mir jetzt sofort sagen, sonst brechen wir den Kontakt auf der Stelle ab, und ich werde Monsieur Langer informieren, dass Sie nicht mit uns zusammenarbeitenwollen.« Philipp war froh, dass sein Französisch so gut war. Hätte er ihn nicht verstanden, wäre es kompliziert geworden. Was hatte man ihm da für einen Idioten angedient? Es war schwierig, das Bild dieses nichtssagenden Menschen mit der Person in Übereinstimmung zu bringen, mit der er jetzt sprach.
»Um fünfzehn Uhr, dann sind wir ...« Touraine stockte, schien nebenbei mit jemandem zu sprechen, »... dann bin ich so weit. Was wollen Sie sehen?«
»Alles. Und ich möchte genau über die technischen Abläufe informiert werden.«
Wieder schien Touraine den Hörer beim Sprechen zuzuhalten. »Wollen Sie die Geschäftsunterlagen einsehen?«
»Einkaufsrechnungen, Versicherungspolicen, Inventurlisten – alles. So lautet mein Auftrag.«
»Ich spreche mit meiner Tochter, sie ist für die Buchhaltung zuständig. Ich melde mich wieder«, sagte Touraine und legte auf.
Verärgert und verwirrt zugleich steckte Philipp das Telefon in die Tasche und starrte auf die Weinstöcke am Straßenrand. Rechts von ihm zog ein Arbeiter seinen Atemschutz über den Mund und setzte die Schutzbrille auf, dann warf er den Miniraupenschlepper an. Vor dem Motor war ein Gebläse montiert, das Spritzmittel als weiße Wolke am Hang zwischen den Rebzeilen und über dem Mann versprühte. Graufäule trat häufig auf. Gegenüber, in der Ebene, war ein großer Traktor im Einsatz, dessen Auslegerarme auf jeder Seite die Spritzmittel gleichzeitig auf vier Reihen verteilten. Während der Mann mit dem Mundschutz hinter der Maschine
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