Champagner-Fonds
feucht waren die Wände dort, schwarz vom Penicillin, und er erinnerte sich daran, gehört zu haben, dass die Arbeiter, bevor es Antibiotika gab, bei Verletzungen in die Keller gegangen waren und sich die dünne schwarze Schicht Schimmelpilze auf die Wunde gestrichen hatten. In dieser modernen aufgeräumten und wie geleckt wirkenden Anlage, in der sogar der Fußboden durchgestylt wirkte, war auf den Wänden nichts vom Penicillin zu sehen.
Vor dem grauen Beton standen die Holzfässer mit den Reserveweinen, vergoren wurde in den üblichen Tanks aus Edelstahl. In einigen wenigen Rüttelpulten staken nur die übergroßen Flaschen, die anderen befanden sich in Wendebehältern, in denen sie alle gemeinsam gedreht und steiler gestellt wurden, bis sie senkrecht standen. Die würfelförmigen Behälter erinnerten Philipp an Raketenwerfer, die übereinander auf senkrechten Lafetten montiert waren. Der Vergleich war dumm, aber er kam ihm jedes Mal in den Sinn, wenn er die grauen Körbe sah. Und die steinernen Fächer, in denen die ältesten Jahrgänge lagen, erinnerten ihn an spanische Friedhöfe. Statt der Platte mit dem Namen stand eine Schiefertafel mit dem Jahrgang vorn im Fach. Die älteste Flasche in diesem Keller stammte von 1975. Sie war nicht degorgiert.
Diese Besichtigung machte Philipp deutlich, dass der Champagner-Fonds die Flaschen nach dem Abfüllen kaufen, sie auf eigene Kosten lagern, dann degorgieren und dieDosage zufügen musste, bevor sie mit dem Etikett des Herstellers versehen wurden. Es wäre umständlich und teuer, die Flaschen dann wieder zum Produzenten zu schaffen, um die nötigen Schritte vornehmen zu lassen. Also musste es in Villers-Allerand die entsprechenden Einrichtungen geben. Dann müsste man von allen Lieferanten die jeweilige Versanddosage geliefert bekommen, die Lösung aus Rohrzucker und Reservewein, um den Verlust beim Degorgieren auszugleichen. Dazu kamen die Korken, die Agraffe mit den bedruckten Kapseln, der Draht, der den Korken hielt, die Etiketten und die Hülle für den Flaschenhals. Dann fehlten noch die Umkartons. Lohnte sich da der Aufwand?
Philipp zwang sich, Larmandier zuzuhören, denn er schnitt ein heikles Thema an, die Mengenbegrenzung. In der Champagne war das lange ein Fremdwort gewesen. France-Import bevorzugte Winzer, die ihre Erträge an Trauben drastisch beschränkten und dadurch ihren Weinen mehr Ausdruck und Geschmack gaben. Maßgeblich war das Güte-Menge-Gesetz, wonach bei landwirtschaftlichen Produkten jenseits einer bestimmten Menge die Qualität litt. Er hatte noch das Geheul der Experten darüber im Ohr, dass deutsche Winzer bis zu 16.000 Kilo Müller-Thurgau je Hektar ernteten.
»Und warum wird gerade jetzt die Erntemenge begrenzt?«, fragte Philipp, obwohl die Antwort nahelag.
»Die Investmentbanker sind wieder schuld«, erklärte Larmandier ironisch, »die Broker in London und New York trinken zu wenig Champagner. Champagnerhäuser müssen neuerdings ihren Ertrag auf 8.000 Kilo senken, die Winzer dürfen 9.700 Kilo ernten. Das macht eine Reduzierung um vierzig Prozent aus.«
»Aber es wird hoffentlich auf keiner Nobelparty und bei keinem Formel- I-Sieg der Champagner zum Trinken und Rumspritzen fehlen?«
Larmandier hatte Humor. »Wir hier haben sowieso schonlängst begrenzt, beim Chardonnay auf 4.000 Kilo, es ist als Versuch deklariert.«
Philipp kannte Weine, die aus so geringen Mengen gekeltert wurden, aus dem Gard, aus anderen Appellationen, und er schätzte sie. Sie waren stark, intensiv, es waren Weine mit Tiefe und Länge. Und derart geringe Erntemengen, die durch rechtzeitiges Entfernen überzähliger Trauben vom Stock entstanden, stellten sie in ihrer Werbung in Köln als besonders gut heraus.
»Wir wollen gesunde Früchte, wir wollen Leben im Boden und keine mit Herbiziden totgespritzte Erde. Wein wird sowieso als Monokultur angebaut. Und dann sind die meisten Weinberge monoklonal, das heißt, sie stammen von einem einzigen Klon ab. Das ist gegen die Vielfalt der Natur.«
So wird es überall in der industriellen Landwirtschaft gemacht, dachte Philipp.
»Außerdem lesen wir so spät wie möglich«, fuhr der Winzer fort, »nur so bekommen wir Jahrgangschampagner mit einem Ausdruck, der das
terroir
wiedergibt, den Boden und das Klima und bei dem die Rebsorte erkennbar wird. Außerdem lagern bei uns in der Champagne, so schätzt man, insgesamt 1,2 Milliarden Flaschen ... Die müssen wir erst einmal verkaufen.«
»Da sind
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