Champagner-Fonds
Grüns in unterschiedliche Formen, belebt von Linien, die sich immer in einen anderen Winkel zum Betrachter stellten.
Das führte ihm die Dimension des Fonds vor Augen, und ihm wurde flau. Es ging um Millionen. Aber verblassten die nicht längst im Schatten der weltweit versenkten Milliarden und Billionen? Und da standen noch Yves’ Worte über Touraines Auftreten bei Verhandlungen und die kleinen Mengenim Raum. Touraines Rechnungen aber belegten große Mengen. Wenn man viel wollte, konnte man groß auftreten, aber bei kleinen Mengen hatte man sich zurückzuhalten.
Das Tor des Châteaus war abgeschlossen. Sie stellten den Wagen in der nächsten Seitenstraße ab und nahmen den Seiteneingang. Nachdem Philipp seinen Sohn vorgestellt und von dessen Plänen hinsichtlich des Weinbaus berichtet hatte, beugte Thomas sich vertraulich zu seinem Vater. Louise war wegen eines Telefonats in ihr Büro geeilt.
»Helena gießt zu Hause die Blumen, und du bändelst schon wieder an. Papa, was soll das? Man hört so einiges über die Männer mit fünfzig, die auf junge Mädchen stehen. Aber du stehst mehr auf ältere Semester?«
»Was geht dich das an?«, zischte Philipp.
»Nichts, aber dass zwischen dir und dieser ... Madame was abläuft, sieht ein Blinder – wie sie dich anschmachtet, hast du’s nicht gemerkt?«
»Es gefällt mir, ich mag sie, sie sieht gut aus, sie ist eine stattliche Person. Aber das hier ist rein geschäftlich.«
»Ach, wirklich?«
»Im Übrigen frage ich dich auch nicht nach deinen Amouren, ich habe mich nie eingemischt, also lass mich in Ruhe. Wenn du nur deshalb hergekommen bist ...«
»Ist ja gut. Und wieso siezt ihr euch noch?«
»Weil eben nichts passiert, du Klugscheißer.«
Als Louise ihr Telefonat beendet hatte – »nicht einmal sonntags lassen die Kunden einen in Ruhe« – begannen sie den Rundgang durch die Kellerei. Obwohl Thomas lediglich das Schulfranzösisch beherrschte, erübrigten sich viele Erklärungen, weil er über die Technik der Weinbereitung im Bilde war. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Kellereien der Champagne war, dass man die alte Korbpresse nicht herausgerissen, sondern als Schauobjekt hatte stehen lassen.Sie konnte 4.000 Kilo Trauben aufnehmen, also genau einen
marc.
Wegen der gleichmäßigeren Verteilung des Drucks war die Presse wie ein riesiger flacher Teller aus nebeneinander liegenden Brettern gebaut, der in einen ähnlich gearbeiteten Korb drückte. Er hatte einen Durchmesser von etwas vier Metern und war etwas mehr als hüfthoch. Diese Presse hatte nur noch für nostalgische Fotobände und Werbebroschüren eine Bedeutung und war längst durch pneumatische Pressen ersetzt worden. Die allerdings standen in den eigens zur Kontrolle der Pressung eingerichteten Zentren, sodass nur der Most in den Kellereien ankam.
»Wenn ihr unser Lager sehen wollt, müssen wir die Straße vor dem Château überqueren«, meinte Louise. »Der Tunnel, der früher von hier aus in den Berg gegenüber führte, ist am 29. August 1944 eingebrochen.«
»Da haben Sie aber noch nicht gelebt, oder?«, fragte Thomas und sah seinen Vater zusammenzucken.
Louise nahm es nicht krumm. »Sehr charmant, junger Mann. Nein. Es war unser Tag der Befreiung. Mein Vater erzählte immer davon, wie der Stollen einbrach, als der erste amerikanische Panzer darüberfuhr, es soll ein Sherman gewesen sein. Der schaffte, was deutschen Panzern in den vier Jahren davor nicht gelungen war. Aber da es ein Sherman war und kein Tiger, war es für die Familie ein sichtbares Zeichen, dass mein Großvater bald aus der Kriegsgefangenschaft zurückkommen würde.«
Sie hatten die Straßenseite gewechselt und folgten einem Weg den Hügel hinauf. Auf halber Höhe blieben sie stehen und blickten auf das Dorf, das links an Moussy grenzte und sich rechts an der Straße entlangzog, bis es von Hügeln und Weinbergen an der weiteren Ausdehnung gehindert wurde.
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Monsieur Achenbach?«
Es fiel Philipp heute zum ersten Mal auf, dass sie das »ch« seines Namens nicht wie die meisten Franzosen als »sch«sprach. »Was würden Sie sagen, wenn ich mit Nein antworten würde? Ich habe manchmal den Eindruck, dass Fragen gestellt werden, deren Antwort einen nicht mehr überrascht.«
»Ich glaube, Sie interessiert nicht nur der Geschmack eines Weins, die Art, wie er gemacht ist, und sein Preis. Ich sehe, wie Sie in den Himmel schauen, wie Sie nach der Erde greifen
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