Champagner-Fonds
Ihnen.«
In seinem Zustand nachts über die Landstraßen und durch den Wald zu fahren, war unverantwortlich. Ein Reh, ein Wildschwein – nicht einmal ein Autounfall musste zur Katastrophe führen – und der Führerschein war weg. Er hätte nicht mehr fahren dürfen, aber wie sollte er sich in dieser Region ohne öffentliche Verkehrsmittel bewegen, zumal bei Nacht? Man müsste einen Fahrer haben, sagte er sich, Louise könnte bei derartigen Gelegenheiten einen Mitarbeiter bitten, und sicherer war es allemal. Irgendwie hatte er noch ihr Parfüm in der Nase, aber er sah das Gesicht von Helena vor sich und fragte sich, was Louise an ihm fand. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie etwas mit ihm vorhatte. Er war heilfroh, als sich die Silhouette von Avize aus der Nacht schälte. Der Führerschein war gerettet.
Es war erst dreiundzwanzig Uhr, und alle Lichter im »Maison Delaunay« brannten. Auf der Stelle, wo er sonst seinen Wagen parkte, stand ein Auto, das er gut kannte, eine blaue Rostschleuder mit Kölner Nummer. Es grenzte an ein Wunder, dass sie es bis hierher geschafft hatte.
»Ihr Sohn ist auch da.« Madame Delaunay strahlte. »Was für eine nette Überraschung. Wieso haben Sie mir nicht verraten, dass er kommt?
Mon Dieu
, ist der Junge groß geworden, ein richtiger Mann, und gut sieht er aus.«
»Hm ...« Philipp war müde. »Und wo ist der Bengel?«
»Oben, bei Yves und seiner Frau, ich wollte gerade das Tor abschließen und die Lichter löschen. Das mache ich am liebsten selbst, dann schlafe ich besser. Wir sehen uns gleich?«
»Hm ...«
Madame Delaunay sah ihn an. »Sie sind doch nicht ärgerlich, nicht wahr? Ist es wegen des Jungen?«
Philipps Kopfschütteln reichte ihr als Antwort.
»Lassen Sie es den armen Kerl nicht merken, er ist die weite Strecke allein gefahren, ganz ohne Mutter aufgewachsen, ohne Liebe ...«
»Ohne Liebe? Höchstens mit zu viel davon!«
Aber als Philipp seinen Sohn sah, musste er lächeln, besonders über dieses Gesicht, das Thomas’ Gefühle zwischen kühner Entschlossenheit und Zweifel vor der möglichen Reaktion seines Vaters widerspiegelte.
»Weshalb bist du gekommen, Thomas?«, fragte Philipp. Er hätte Thomas gern umarmt, aber er beließ es bei einem kumpelhaften Schulterklopfen. »Sind eure Dozenten im Streik, oder herrscht zu Hause wieder mal Hochwasser? Willst du auf diese Weise deinen Beitrag zur Klimakatastrophe beisteuern?«
»Kannst du nicht ein einziges Mal cool bleiben, Philipp?«
»Ich bin immer cool, viel zu cool, glaube ich. Also?«
»Ich habe gedacht, du brauchst Hilfe.«
»Ich? Hilfe?« Philipp glaubte, seinen Sohn nicht richtig verstanden zu haben.
»Ja, du, Hilfe. Nach dem letzten Anruf habe ich mir Sorgen gemacht.«
»Du hast dir Sorgen gemacht? Ich mach mir Sorgen um dich, um deine Ausbildung, das Studium ...«
»Die Sache mit dem Motorradfahrer, es gibt Leute, die dich verfolgen, diese undurchsichtige Figur Touraine, du willst dich von irgendeinem Kellerarbeiter, den du kaum kennst, nachts in einer unbekannten Kellerei einschließen lassen, um dich umzusehen ... Ich weiß, wie leichtgläubig du bist.«
»Besonders dir gegenüber. Und was ist mit dem Studium?«
»Geschenkt ... abgebrochen ... exmatrikuliert. Du predigst immer, dass man Nägel mit Köpfen machen soll, eine Entscheidung treffen und sie dann radikal durchziehen.«
»Und wie soll es weitergehen?«
»Alles geregelt. Wir bringen das hier gemeinsam zu Ende, und in drei Wochen fange ich bei Knipser in der Pfalz die Lehre an, er gehört zum VDP, zu diesem Verband der Prädikatsweingüter.Von ihm haben wir übrigens auch einen Riesling im Keller.«
»Hast du ihn aufgemacht?«
»Klar, ich musste seinen Wein doch kennen, falls er mich fragt.«
Yves war dazugetreten. »Probleme?«
»Er will Winzer werden.«
»Das weiß ich, er hat es uns bereits erzählt. Ich finde es großartig. Ich hatte nach deinen Erzählungen schon befürchtet, er würde so einen unseriösen Beruf ergreifen wie Anlageberater, Fondsmanager oder Wirtschaftsprüfer. Na, das müssen wir feiern.«
Eine Flasche Champagner lag in diesem Haus immer auf Eis, und trotz der vorgerückten Stunde stieß man zur Feier der Nachricht mit Thomas an. Philipp wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Zumindest eines war ihm klar: Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Thomas’ Entscheidung zu akzeptieren.
»Ich werde auch auf dem Weingut wohnen«, sagte Thomas, »du brauchst also nichts mehr
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