Champagner-Fonds
und daran riechen, Sie drehen die Blätter der Weinstöcke um und betrachten die Triebe. Das Ganze ist für Sie viel mehr als die Summe seiner Teile. Ich hoffe, ich bin nicht zu persönlich?«
»Durchaus nicht«, antwortete Philipp, dem ihre Ausführungen mit jedem Wort unangenehmer wurden. Er hatte noch nie erlebt, dass man ihm seine Gedanken ansehen konnte.
»Ich finde Ihre Haltung ausgesprochen sympathisch. Sie nehmen mehr wahr, als Sie sehen. Vielleicht hat Ihnen das noch niemand so direkt gesagt. Fühlen Sie sich ausgelastet? Ich meine – nicht von der Arbeitszeit her, sondern von Ihren Fähigkeiten?«
Philipp, sagte er sich, pass auf, wenn dir jemand Honig um den Bart schmiert!
»Haben Sie jemals daran gedacht, sich zu verändern?« Louise wirkte jetzt sehr klar und direkt.
»Wie meinen Sie das?« Philipps Verdacht wurde bestätigt, Madame hatte Hintergedanken. Er musste sich seine Antwort genau überlegen. »Veränderungen sind immer nötig – nur auf das Maß kommt es an und auf die Richtung.«
»Wenn Sie auf die Himmelsrichtung anspielen, dann in Richtung Westen. Haben Sie mal erwogen, in die Champagne zu kommen und uns zu helfen? Sie könnten sich sehr nützlich machen, nützlicher als Sie es für France-Import vielleicht sind. Dabei wären Sie nicht der Erste, der diesen Schritt wagt. Es hat eine lange Tradition. Viele bekannte Champagnernamen gehen auf Deutsche zurück. Da gab esden Johann-Joseph Krug aus Mainz. Leider gehört das Haus heute einem Luxuskonzern, für den sind Châteaux nichts weiter als Profit-Center, auch wenn sie einen Clos d’Ambonnay machen, die Flasche wird im Restaurant für lächerliche 4.500 Euro angeboten. Das können sich nur Verbrecher oder Finanzjongleure leisten. Henri-Guillaume Piper, der sich mit Charles-Henri Heidsieck zu Piper-Heidsieck zusammengetan hat, kennen Sie sicher.«
Es war ein Name, den man in jedem Supermarkt fand. Was Philipp abstieß, war die neueste weltweite Aktion, diesen Champagner aus einem hochhackigen Damenschuh zu trinken, eine Vorstellung, die ihn anekelte. Es war keine Erotik mehr, es war Prostitution. Aber das war heutzutage vieles.
»Mumm, Bollinger, Deutz und Taittinger (sie sprach es zu Philipps Verblüffung deutsch aus), das alles sind Leute, die zu uns kamen und geblieben sind.«
»Aber nicht, um Champagner zu machen«, warf Philipp ein und sah, dass Thomas ihn verstand. »Sie übernahmen organisatorische Aufgaben, dazu eignen sich die deutschen Sekundärtugenden bestens, weniger jedoch, um Blattunterseiten zu beurteilen. Als man in der Champagne begann, Champagner als speziellen Ausdruck französischer Lebensart zu verkaufen, haben sie sich französische Vornamen zugelegt. Aus Heinrich wurde Henri, aus Peter wurde Pierre ...«
»Bei Ihrem Vornamen muss man nur ein kleines ›e‹ dranhängen«, fügte Louise mit ihrem reizenden Lächeln hinzu. »Ihre Bemerkung über die organisatorischen Aufgaben ist durchaus berechtigt, nur – mit irgendetwas muss man schließlich anfangen.«
Sollte er das als Angebot verstehen? Thomas sah ratlos von einem zum anderen, sein Französisch war nicht so gut. Das Klingeln des Mobiltelefons enthob Philipp einer Antwort. Er schaute auf die Nummer auf dem Display, er kannte sie nicht, aber die Stimme.
»Monsieur? Treffen wir uns heute Abend um einundzwanzig Uhr zum Kartenspielen? Sie könnten ein gutes Blatt bekommen, aber man weiß nie genau, wer die Karten gibt. Spielen Sie mit?«
Für den längeren Aufenthalt in den kalten, weitläufigen
crayères
von Villers-Allerand brauchte er seine dicke Jacke, und auch Thomas sollte sich entsprechend anziehen. Philipp schaute auf seine Füße; die Schuhe waren für derartige Ausflüge denkbar ungeeignet. Um an den Stadtrand von Reims zu kommen, wo sich die Outlets der Bekleidungsfirmen befanden, die auch an Wochenenden geöffnet waren, nahmen sie besser seinen Wagen. Sie würden anschließend nach Avize zurückfahren – bis einundzwanzig Uhr war es lange hin.
Auf dem Weg in die Stadt erklärte er Thomas, was er über die Keller wusste, was er vermutete und woran er sich erinnerte.
»Du bist fest davon überzeugt, dass in der Kellerei oder mit dem Champagner-Fonds was nicht stimmt, oder?«
»Ja. Es passt zu vieles nicht, und dann geht mir eines nicht aus dem Kopf, wofür ich überhaupt keine Erklärung habe.«
»Und das wäre?«
»Der Verwalter der Kellerei fragte mich zum Beispiel, ob ich jemanden mitgebracht habe, der Muller heißt, Michel
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