Champagnerkuesschen
äh ... Exfreund hat wahrscheinlich eine Affäre mit dieser Annika-Schlampe. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und stöhne laut.
Hallo? Hallo? Ich sende einen stummen Hilferuf ans Universum. Nicht, dass ich an den ganzen Mist glaube, aber schaden kann es schließlich auch nicht.
Es klingelt an der Haustür.
Nichts passiert. Wahrscheinlich schlafen Katja und Sergej noch.
Es klingelt erneut.
Mühsam schleppe ich mich aus dem Bett. Ich trage eine Pyjamahose und mein ausgewaschenes Schlabbershirt mit den Löchern am Ärmel. Ich sehe aus wie eine Eule nach einem Waldbrand. An der Haustür angekommen, schaue ich durch den kleinen Türspion. Ich erstarre augenblicklich.
Oh mein Gott! Meine Eltern!
Meine Mutter bewegt ihren Zeigefinger in Richtung Klingel. Mein Vater, wie immer in der Rolle des Statisten, steht wartend im Hintergrund.
Mit einem Ruck reiße ich die Tür auf.
„Mama. Papa! Was macht ihr den hier?“
Meine Mutter stürmt in die Wohnung, als läge ich in den letzten Zügen röchelnd auf dem Fußboden.
„Julia, meine Süße. Wie geht es dir?“ Ohne Vorwarnung packt sie mich an den Armen und sieht mich mit strenger Miene an. „Meine Güte, Kind!“ Sie verzieht das Gesicht. „Wie du aussiehst! Man könnte meinen, Katja hat dich von der Straße aufgelesen. “
„Danke, ich finde es auch schön, dich zu sehen. Ich hatte schon fast vergessen, was für ein Versager ich bin.“
„Das habe ich nie gesagt. Du siehst fürchterlich aus.“ Meine Mutter verzieht das Gesicht.
„Mir geht es prima, Mama“, brumme ich und versuche, mich ihrem Klammergriff zu entwinden. „Ehrlich gesagt bin ich gerade erst aufgestanden.“
Die Augen meiner Mutter mustern mich argwöhnisch. „Ein ausgewogener Schlafrhythmus ist wichtig für Schwangere.“
„Ich bin nicht schwanger, Mama“, sage ich.
„Hab ich das denn gesagt? Ich habe lediglich gesagt, dass ein ausgewogener Schlaf wichtig für Schwangere ist“, erklärt meine Mutter beleidigt.
„Mama, ich bin nicht blöd. Du wolltest mich doch nur mal testen.“
„Und wenn schon. Eine Mutter macht sich eben Gedanken, wenn sich ihr Kind so plötzlich verlobt und dann nichts mehr von sich hören lässt“, verteidigt sich meine Mutter.
„Mama, wenn ich schwanger bin, dann seid ihr die Ersten, die davon erfahren werdet“, seufze ich.
Hinter mir liegen grauenvolle vierundzwanzig Stunden, in denen ich versucht habe, nicht an Benni zu denken, und genau das Gegenteil ist der Fall. Ich muss ununterbrochen an ihn denken. Benni ist wie vom Erdboden verschluckt. Der Appetit ist mir vergangen, was in meinem Fall ein äußerst bedenklicher Zustand ist. Mein Puls rast, als ob ich Fieber habe und mein Kopf schmerzt. Während der Mittagspause haben mich bereits drei Kollegen angesprochen, ob ich krank sei. Mein Vater taucht hinter dem Rücken meiner Mutter auf.
„Hallo Papa“, sage ich schwach.
„Hallo meine Süße.“ Er drängt sich an meiner Mutter vorbei und nimmt mich in den Arm. „Deine Mutter und ich dachten, wir schauen mal bei dir vorbei.“
„Das ist lieb von euch, wäre aber nicht nötig gewesen. Und überhaupt, was habt ihr vor?“, frage ich misstrauisch. „Schließlich ist es von Freiburg nach Hamburg nicht gerade ein Katzensprung.“
„Wir sind auf dem Weg zu Großtante Wiltrud. Die Arme ist ganz alleine in diesem riesigen Haus und hat mich und deinen Vater eingeladen, ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten“, erklärt meine Mutter. „Weißt du, wir werden alle nicht jünger.“ Höre ich da einen versteckten Vorwurf?!
„Großtante Wiltrud?“ Ich krame in den Untiefen meiner Hirnwindungen nach einem Hinweis auf Großtante Wiltrud. Die Familie meiner Mutter ist nicht sonderlich eng miteinander verbandelt. Die wenigen Treffen, die stattgefunden haben, waren eigentlich ausschließlich Hochzeiten, Konfirmationen oder Beerdigungen. Wobei ich Letzteres gemieden habe. Beerdigungen machen mich immer so depressiv. „Ist das nicht die durchgeknallte Alte?“
„Kind, so spricht man nicht von seinen Verwandten. Schließlich ist Großtante Wiltrud mittlerweile eine sehr wohlhabende Frau – dank ihres verstorbenen Mannes. Gott hab ihn selig!“, schimpft meine Mutter.
„Das ändert natürlich alles“, sage ich.
„Eben“, bestätigt meine Mutter zufrieden. Mein Vater seufzt leise.
„Wo steckt eigentlich Benjamin?“, fragt meine Mutter und lässt ihren Blick durchs Wohnzimmer schweifen.
„Er hat sich nicht unterm Tisch versteckt“,
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