Champagnerwillich: Roman
»Tut mir Leid, Jil, aber ich muss heute noch arbeiten« oder »… meiner Mutter den Rasen mähen« oder »… meinen Porsche auf 280 Stundenkilometer bringen.«
Auf einmal reißt mich Nathan immediat mit einem hysterischen Schrei beim Blick auf seine Rolex aus meinen Gedanken und beginnt, seine Füße in weiße Seidenslipper zu fummeln. Nach dieser Nacht weiß sogar ich, dass Rolex die Abkürzung für R eiche- O rdinäre- L ebens- EX istenz ist. Aber das ist doch kein Grund, so laut zu schreien.
»O mein Gott, Jil. Es ist ja schon so spät. Ich habe noch einen Termin mit meinem Steuerberater.«
Steuerberater?
Sonntags?
Da wäre mir Rasen mähen bei Mutti lieber gewesen.
Mein Denkzentrum schaltet sich aus. Mein Reflexzentrum springt an.
»Ach, ja klar. Ich muss auch dringend weg. Auf mich wartet noch eine Menge Arbeit. Wahrscheinlich bin ich denganzen Sonntag beschäftigt.« Arbeiten? Arbeiten? Was mache ich noch gleich von Beruf?
Nathan rauscht aus dem Zimmer und lässt mich mit einem Berg von Kaffee, Kaviar und Konfitüre sitzen. Ich muss mit meiner Enttäuschung kämpfen.
Keine zwei Minuten später stürmt er in einem cognacfarbenen Armani-Anzug mit hellblauem Button-Down-Hemd in die Küche zurück. Darf mir jetzt bloß nichts anmerken lassen! Ich bin eine erfolgreiche und unheimlich beschäftigte PR-Frau. Selbst wenn meine Kontoauszüge etwas anderes sagen. Ich habe natürlich keine Zeit, den ganzen Sonntag mit diesem lebensgroßen Freund von Barbie zu verschwenden.
Mir bleibt jedoch nicht eine Minute für eine überzeugende Argumentation in diese Richtung. Mit einem Kuss und den Worten »Lass mir deine Adresse da!« verabschiedet sich Nathan und verlässt die Wohnung.
Da sitze ich nun. Allein. Umnebelt von seinem Boss Emotion Duft, vernebelt wegen seiner kleinen Grübchen und benebelt wegen seines Steuerberaters. Ich komme mir so residual wie noch nie in meinem Leben vor. Männer lassen einem einfach keine Ruhe, wenn sie da sind, und erst recht keine, wenn sie nicht da sind.
Tja, jetzt werde ich wohl erst mal den ganzen Kaviar allein aufessen müssen. Und danach sollte ich heimlich ein paar Schubladen öffnen. (Schnüffeln ist ein weibliches Grundrecht. Außerdem führt Fahrlässigkeit des Opfers immer zur Freisprechung des Angeklagten.) Und zum Schluss werde ich meine Adresse geradezu erotisch mit rotem Lippenstift an den Badezimmerspiegel schreiben. Ein ganz toller Plan!
Mist, warum ist meine Adresse auch so lang? Stelle fest, dass der Plan leider reichlich beschissen ist. Ich rutsche dauernd ab. Beim »ö« von »Schöneberg« bricht mir sogar der Lippenstift ab, und der Straßenname passt nicht ganz auf den Spiegel. Ich betrachte mein Kunstwerk und muss mir eingestehen: Das ist alles andere als erotisch.
Die Schmiererei muss irgendwie wieder runter.
Ich kann nur Klopapier finden.
Nach einer Dreiviertelstunde schließe ich die Tür eines Penthouses, in dem ich in einen eiskalten Pool gesprungen bin, mich mit einem Fernseher gestritten habe, einen Badezimmerspiegel geschrubbt und mich ein kleines bisschen verliebt habe.
Und das Einzige, was bleibt, ist eine Adresse auf dem Küchentisch, eine Packung exklusive Streichhölzer neben dem Kronleuchter und mein Slip in einer Yuccapalme auf dem Dach. Aber den habe ich dort leider ganz vergessen.
Gelernte Wörter: monosyllabisch = einsilbig;
immediat = ohne Ankündigung;
residual = zurückbleibend.
6
DER SONNTAG DANACH
ODER
ESSEN BEI MUTTI!
H err Schnüttge.«
»Frau Schöneberg.«
»Arbeitet Ihr Steuerberater eigentlich auch sonntags?«
»Falls Sie das fragen, weil irgendein Mann deswegen den Sonntag nicht mit Ihnen verbringt, antworte ich mit ja. Andernfalls verweigere ich die Aussage.«
»Verstehe.«
»Du hast mit meinem Freund geschlafen. Das werde ich dir nie verzeihen, du elende Schlampe.«
Ich werfe die Haustür zu, streife die Schuhe von meinen Füßen und trotte in die Küche. Luisa stapft mit einer Flasche Bier in der einen und einem Textbogen in der anderen Hand durch den Raum und blitzt den Kühlschrank mit bösen Blicken an.
»Jeder andere hätte mit ihm schlafen können, aber du! Ich habe dir vertraut. Über Jahre habe ich dir vertraut. Ich habe dir bei deiner Brustverkleinerung zur Seite gestanden und bei deiner Affäre mit dem Elektrotechniker. Wie kannst du jetzt nur so kühl sein?«
»Luisa, lass den Kühlschrank in Ruhe.«
»Nein! Der Kühlschrank bekommt, was er verdient hat! …Und, nette Nacht gehabt?« In
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